Osterfest-Winterstiefel

     
Ich bin in Russland. Das russisch-orthodoxe Osterfest ist noch entfernt, dafür der Winter da. Weswegen diese Geschichte von Winterstiefeln handelt. Genauer: Von Dienstwinterstiefeln. Der Winter, hier noch ein "rechter Mann, kernfest und auf die Dauer" herrscht mit 18 Grad minus am Tag und 25 nachts, derzeit verschwistert mit einem Sturm der Stärke 10/11 aus der Richtung der Wüsten von Kasachstan und weiterem Asien (Grenze 18 km).
In solches Wetter kletterte ich aus der Transair-Maschine um 1 Uhr morgens und rutschte ein erstes Mal aus. Glatte Sohlen. Wie bei allen meinen Schuhen im Gepäck…
Meiner begleitenden Übersetzerin fiel ich auf dem Weg übers schneestürmische Rollfeld zur Gepäckausgabe zweimal in den Arm und dem nächtlichen Begrüßungskomitee (drei Mann, turmhoch und faßdick in Mäntel und Fellstiefeln versteckt) auf dem noch längeren Weg zum Parkplatz regelrecht vor die Füße. Die letzte Strecke wurde ich unter die Arme gefasst und halb getragen, halb geschleift. Ich gab den Kampf mit dem russischen Winter klugerweise früher als Napoleon auf.
Am nächsten Tag stand vor meiner Hotelzimmertür ein Paar Stiefel, Winterstiefel. Bis zum Knie mit Fell ausgelegt. Mit Spurrillen statt Sohlen, die mich an die schwarzweißen Bilder der ersten Mount Everest-Besteiger in der UFA-Wochenschau meiner Kindheit erinnterten, an Mut, an Heldentum, an Sieg und Männlichkeit.
  Und an die gewaltigen Reifenspuren der heimischen Großtraktoren unserer Bauern auf lehmiger Erde. Die Stiefel waren leihweise. Von der Hotelleitung. Und ich konnte darin nur stapfen - etwa Tempo einer griechischen Landschildkröte. Derart schwer sind diese Container für Unterbeine und Füße.
Man sah dies meinem Gang wohl an. Jedenfalls fuhr mich ein Wagen der Universität am zweiten Tag in ein Geschäft mit Stiefeln. Stiefel, soweit das Auge reichte, aber die Phantasie nicht mehr. Stiefel mit Leder - und Tierfellen aller Sorten innen und Metallschließen außen, oder aus Kunststoff, mit und ohne eingeprägtes Landeswappen.
Ich suchte mir ein unauffälligeres, kleines vor allem etwas leichteres Stiefelchen-Pärchen aus, wurde belehrt, dass dies für Damen sei und dies ginge nicht. "Wieso nicht?" Weil die Stiefel für mich dienstlich angeschafft würden und Damenstiefel für mich würde die Verwaltung verwirren, es würde Rückfragen geben, Papiere, Formulare…Wie zuhause also. Ich bot Selbstbezahlung an. Freundlich-bestimmtes "Njet". Ich sei Gast, der zahlt grundsätzlich nichts. Im Gegensatz von zuhause.
Erst ein Telephonat des Rektors mit dem Governement erlaubte den Kauf der Damenstiefel. Für mich.
Sie werden für meine winterlichen Aufenthalte in Russland (noch 2 Winter) aufbewahrt in der Requisitenkammer der Theaterabteilung der Universität. Meine Dienststiefel. Meine Dienstwinterstiefel. Meine Dienstwinterdamenstiefel.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
25. März 2008