Flüche im Himmel

     

Ein 30. Geburtstag, ein strahlendes Geburtstagskind und eine Gruppe liebender Familienmitglieder, getreuer Nachbarn und krisenfester Freunde feiern mit. Traditionelle Szene der Bescherung: Augen zuhalten vor dem Gabentisch, kollektives Oh-Murmeln, sich steigernd zum Ah, bei dessen Höhepunkt die weiße Decke vom Gabentisch gezogen und das Auge der Bescherten wieder blicken darf, auf die Geschenke…ein Ritual also - -  da klingelt das Telephon…Ein Gratulant per Handy…“Tschuldigung!“ sagt das Geburtstagskind und eilt rücksichtsvoll auf den Flur.
Zwischen Bescherung und Mittagsfestessen klingelt es 15 mal und 10 mal fiept ein Gratulations - SMS. Lauter weitere Gratulanten, die das Geburtstagskind lieben und dies per Telephon, meist Handys von überallher, beweisen wollen. Anwesende Gäste nicken, wenn das Geburtstagskind beim nächsten Klingeln „Tschuldigung“ sagt, zum Handy eilt und sich mit dem Anrufer nach draußen verzieht.
Dasselbe beim nachmittäglichen Kaffeeklatsch, wo die selbstgebackene Apfeltorte (mit selbstgezüchtetem Boskop) von ca. weiteren 10 Anrufern garniert wird. Gott, was ist dies Geburtstagskind beliebt!
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„Au weia“, sagte sich im Himmel der Untererzengel Gabriel der Kleine, der via Psycho-Zoom-Kamera in die Herzen der anwesenden Gäste sehen konnte. „Au weia!“
Untererzengel Gabriel der Kleine flog – Fliegen geht in der Ewigkeit schneller als Telephonieren auf der Erde – zu seinem Supervisor, einem

 

jungen Seraphim, der als Psychologe auf der Erde „Krisenintervention in der Informationstechnologie“ studiert hatte. „Au weia“, sagte der Seraphim, der overstresste himmlische Heerscharen nur zu gut kannte, wenn die nämlich technische Medien einsetzten. „Unmöglich, dass Anwesende weniger wichtig sind als von außen Hineintelephonierende. Das geht schief.“ Und er erinnerte Gabriel den Kleinen an die vielen Schlangen wartender Menschen – z.B. vor einem Fahrkartenschalter – die noch mehr warten müssen, wenn das Telephon klingelt. „Tschuldigung…“
„Gehen wir damit zum Chef,“ schlug Gabriel der Kleine bedrückt vor, weil das Geburtstagskind da unten gerade den Gästen versicherte, wie toll sie und ihre Geschenke seien – und das Handy erneut klingelte. „Tschuldigung…“
Erzengel Gabriel der Große sah sich mit Gabriel dem Kleinen samt dem Seraphim der Supervisionsabteilung die entscheidenden tracks an, in denen die Anrufer von außen den Gästen drinnen die Show stahlen.
„Himmelherrgottsacra nochmal“! stöhnte Gabriel der Große und schob als Ausgleich hinterher ein „O Gott o Gott! Da wird ja ein Fluch, was ein Segen sein sollte. Abschalten, sofort phasenweise abschalten! Wir erfinden jetzt einen Telephon-Empfang, zeitlich limitiert. 10-11 vormittags und 18-19 frühabends. Generell für alle Feste!“
So kams, dass in der Region des Geburtstagskindes plötzlich bis 18 Uhr kein Empfang für Handys bestand. Und dann auch nur bis 19 Uhr…als die Nachmittagsgäste weg und die Abendgäste noch nicht da waren.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
23. September 2008