Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
Nach dem Sturm

„Immerhinque,“ schloß Onkel Wilhelm seine Reden, wenn nicht viel, nur wenig zu machen war.

Immer nach Stürmen gerät der Mensch – kurzfristig – ins Grübeln und denkt. Denkt nach und vor. Dabei ist es gleichgültig, ob die Stürme selbstgemachte sind (militärische Kriege der Nationen oder private Kriege der Familien). Oder Stürme, für die wir nicht ganz so unmittelbar verwantwortlich sind wie die der Natur. Und die wir folgerichtig und ungewöhnlich fromm und einsichtig, sozusagen respektvoll als „höhere Gewalten“ bezeichnen.

Bei diesem Grübeln nach dem Sturm kommen dann Weisheiten heraus. Volksweisheiten. Die Psychologie sortiert sie als „Erfahrungspsychologie“.

„Nach dem Sturm ist vor dem Sturm“ wäre eine solche, meteorologisch gemeint und bezogen auf die Ruhe nach dem Sturm höherer Art.

Unsere selbstgemachten emotionalen Stürme bei Wahlen schlagen sich dann nieder im „Nach der Wahl ist vor der Wahl“ und die bei einer WM etablieren sich im Kürzel „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“. Die Reihe wäre endlos fortzusetzen: Nach dem Abschied ist vor dem Abschied, nach dem Sex ist vor dem Sex. Oder die „aus TV bekannten“ Vorher-Nachher-Schönheitsbehandlungen. Kurz: Wir befinden uns in Gesetzmäßigkeiten der Natur, die manche als „profan“ sehen und nach diesen richtet sich auch das Auf und Ab der menschlichen Seele, nach dem Kinder leben („Heile, Heile Segen, sieben Tage Regen, sieben Tage Sonnenschein…“). Erwachsene ebenso, nur mit einer Macher-Sicht auf die Dinge, die auf sie zukommen.

Denn die meisten dieser „Vor-Nach“ –Spielereien bergen einen Auftrag in sich: Etwas zu tun. Der Politiker nach der Wahl hat die nächste vorzubereiten und seine Wahlversprechen möglichst zu toppen. Der Trainer trainiert seine Sportler für den nächsten Sieg. der Küstenschutz erhöht die Dämme, im Binnenland werden begradigte Flüsse wieder krumm.

Was machen wir nach dem letzten Sturm? Versicherungspolicen überprüfen? Prämien erhöhen, damit beim nächsten Buchstaben = Sturmtief mehr abgesichert ist? Zum Baumarkt flitzen, um selbst Hand anzulegen an die höhere Gewalt? Wetterliche Phänomene werden alphabetisch getauft – eine menschliche Maßnahme, das Unzubändigende durch eine Namensgebung zu bändigen. Sogar in weiblich und männlich teilen wir sie ein. Differentialdiagnostik in der Sturmwelt.

Beten bietet sich auch an alsAktivität nach dem Sturm („Vor Feuer, Angst und Wassersnot – behüt uns, lieber Herre Gott“). Oder – gar nichts tun. Nach dem Motto: „S` kömmt wie`s kömmt.“

Ich? Ich gehöre zu denen, die über Sturm nachdenken. Nach dem Sturm. Und vorzudenken versuchen, welcher Sorte unter den vielen Stürmen ich mit Vorbereitung begegnen kann. Es sind zwar wenige, „aber immerhinque“ wie Onkel Wilhelm immer sagte, wenn nur wenig zu machen war.


(23. Januar 2007)

Den Autor erreichen Sie unter: Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de