Der verlorene Euro

     

Sie ist passiert, die Geschichte. Wahrscheinlich nicht nur in Lüneburg auf dem Weihnachtsmarkt, sondern häufiger, wo Märkte und Menschen sich im Gedränge vergewissern: Es wird Weihnacht.

Auf unserem Markt wurde das vorweihnachtliche Gedränge an diesem Abend weniger. Bald Marktschluss. Da beginnt eine der Königinnen der kleineren Ständeden Abfall um ihren Stand herum in einer Tüte aufzusammeln. Es ist noch eine richtige Bude, um die sauber gemacht wird. Keine Filiale eines Großkonzerns weihnachtlicher Massenware fürs deutsche Gemüt von Übersee wie nebenan.
Die Königin der kleinen Bude, hölzernes Spielzeug, Topflappen in Tannenbaumform, Holzflöten, die wie Nachtigallen schlagen, ist älter und bewegt sich mit dem Aufnehmer, diesem Stock mit Greifarm langsam unten am Boden, sammelt Plastikbecher, Pappbecher, Pappteller mit Resten von Ketchup, zerknüllte Zigarettenschachteln und Einwickelpapier, das von dem Gekauften abgerissen war, weil der Beschenkte das Geschenk sofort haben will.
Ein junger Mann bückt sich und sammelt mit der Hand schneller als die Unternehmerin einzelne Zigarettenkippen und Bonbonpapiere auf, die für den Greifarm zu klein sind.

 

Im sammelnden Bücken fragt er, ob sie die Tage bis zum Fest Hilfe brauche, er könne helfen, Einpacken und Auspacken, das Saubermachen, Wege für sie machen, alles machen.
„Lassen Sie das, ich zahle nichts!“

„Bitte…“. „Nein, sagte ich“. Die Frau geht kontrollierend um den Stand, stolpert, der Mann hilft ihr auf. Sie wird noch schroffer. „Danke, gehen Sie jetzt!“ Ihr Greifarm und seine Hand steuern auf eine kleine Plastiktüre zu, so eine wie für Murmeln und seine Hand ist schneller. Unter der Plastiktüte blinkt ein Zwei-Euro-Stück, das der Mann ihr reicht. „Hat wohl jemand verloren“.
Die Unternehmerin kneift trotz Brille die Augen zu, kontrolliert den Ort, wo sich Greifarm und seine Hand fast trafen und begreift, dass die Münze nicht von ihm dort deponiert worden sein kann, um ihr zu imponieren. Dann erst sieht sie einen Augenblick in sein Gesicht  und seinen Blick. Ein Augenblick.
„Also gut, bis Heiligabend kommen sie morgens und abends eine Stunde. Auspacken, Auslegen, Einpacken, Saubermachen. Drei Euro pro Stunde“.
Wünschen wir uns am Christfest und im neuen Jahre viele solcher Augenblicke - auch ohne Geld im Spiel des jährlichen Festes der Liebe.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
22. Dezember 2015