Leibniz ist klug, schlau, raffiniert, kombinationsfähig
und durchsetzungsfähig. Wie eben der hannoversche Leibniz.
Jener hannoversche Universalgelehrte, mit dem sich Welfen, Hannoveraner,
Niedersachsen schmücken und ihre Halb- und Viertelbildung
mit ihm aufgewertet wissen dürfen.
Unser Leibniz ist kleiner als der große Leibniz, dafür
noch nicht tot, sondern so lebendig und nah, dass er sich für
meine Leser ablichten ließ. Und als Zeichen seines Vertrauens
in die Wissenschaft. Denn Leibniz Lieblingsort ist inzwischen
der Tisch, auf dem mein Laptop steht, darin mein gegenwärtiges
Wissen gesammelt ist. Leibniz ist eine Krähe und ich habe
ihn aus zwei Gründen Leibniz getauft. Einmal, weil er den
Keks aus Hannover bevorzugt, der nach dem großen Leibniz
benannt wurde. Zweitens weil er einem Raben immerhin ähnelt
und ein Rabe ist ein Gelehrten-Tier. Eine kleinere Krähe
also ein Teil-Gelehrtentier und mir angemessen. Denn heutzutage
gibt es nur noch Teil-Gelehrte und keine Universalgelehrten
mehr. Wer das Gegenteil von sich behauptet, ist überhaupt
nicht gelehrt.
Leibniz muss sich seiner Berufung als Wappentier für heutige
Teilgelehrte bewusst geworden sein, als ich am Laptop draußen
arbeitete. Draußen am Ammersee vor dem Haus von Apadulas.
Womit klar wird: Leibniz ist eine bayerische Krähe. Aktuell
dürfte der hannoversche Leibniz aber nichts gegen Bayern
und bayerische Krähen haben, denn das Kabinett in München
hat soeben beschlossen, einen anderen hannoverschen Wissenschaftler,
den Gauß, als Mathematiker auch kein Universal-, sondern
Teil-Gelehrter, in ihren Ruhmestempel bei Regensburg an der
Donau aufzunehmen. Ins Walhalla.
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Ludwig I. baute und widmete den Walhalla-Tempel den größten
Deutschen. Einschließlich seiner selbst. Und was umfliegt
den Ruhmestempel? Richtig, Krähen. - Lauter Verwandte von
unserem Leibniz, der es vorzieht mich schon bei Lebzeiten mit
seinem Vertrauen zu ehren, indem er mich und mein Laptop und
den Leibniz-Keks umfliegt. Nach der ersten Würdigung seines
Interesses mit Leibniz-Keks - kam Leibniz näher. Und näher
- bis er sich auf meinem Arbeitstisch niederließ. Zunächst
allein mit dem Laptop, weil ich ihn ja ablichtete. Später
mit mir zusammen. Morgens weckt Leibniz Christine und mich mit
einem präzisen Kräh in höherer, sog. appellativer
Frequenz. Dann begleitet er uns den ganzen Tag. Leibniz umfliegt
keineswegs nur den, wessen Brot er pickt, sondern er hat Interesse
an neuen Trance-Methoden. Die Hypnose-Sprache (im Tempo langsamen
Herzschlags, in abgesenkter Tonhöhe und mit partiell sich
auflösenden Artikulationen) ist ihm am liebsten. Dann legt
er den Kopf erst mehrfach nach links, dann rechts, um in der
Mitte den Schädel abzusenken und ein Auge zu schließen.
Ein pechschwarzes Auge im pechschwarzen Federkleid sieht man
nicht. Ich aber, weil ich 40 cm neben ihm forsche. Freiwilliges
Augenschließen ist ein Indikator für die 1. Trancestufe,
die Leibniz also zu 50 % erreicht, weil er immerhin ein Auge
schließt, Mehr darf er als Teil-Gelehrten-Vogel nicht,
weil er beobachten muss, was wo wie und wann und warum auf ihn
wirkt. Das tun menschliche Wissenschaftler auch. Wir haben ihn
heute verabschiedet mit einer ordentlichen Brotzeit: In Wasser
getauchter Wecken, Weißwurscht-Schnitzelchen
und
echtem Abschiedsschmerz.
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