Fußball, Götter und Heroen

     

Auch beim private viewing lassen sich die Arme hochreißen und nicht nur Begeisterungsrufe in die Schallwelt gebären, sondern richtige Schreie. Begeisterungsschreie! 1:0!
Weltmeister? Eigentlich reicht schon Erdmeister, aber wir haben nun mal den Drang zur Erhöhung und Überhöhung, die uns beim Erdmeister in Sachen Fußball sogar religiös werden läßt. Sonst würde nicht der ARD-Moderator bei der TV-Übertragung des Finale schon nach dem „Erlöser“ gefragt haben, der dann auch kam. Nicht als der Christus vom Berg über Rio de Janeiro herunter, sondern als unser Götze, der  das welterschütternde Tor schoss, ich meine das erderschütternde Tor. Religiös ging es dann weiter nach dem Tor des Götze, der dadurch nicht schlicht ein Götze wurde, sondern ein Gott. Fußballgott. Denn der Moderator moderierte logisch weiter mit „Es ist vollbracht“.
In den morgendlichen Titelzeilen und den sozialen Netzwerken des Internets vervielfältigt sich die Kunde  von unseren neuen „Göttern“ und „Heroen“. Gar von „Heilsbringern“ war zu lesen.
Wie kommt`s, dass wir sie brauchen – unsere Götter?Die Psychologien heute sind sich weitgehend darin einig, dass Religiösität (auch) aus dem Grundbedürfnis des Menschen entsteht, sich am Stärkeren anlehnen zu können, vom noch Stärkeren tragen lassen zu können.

 

Das beginnt mit dem Erkennen des Kindes der Allmacht, die diese Riesen haben, die wir Eltern nennen. Später wachsen wir ebenfalls in die Höhe, lernen unsere eigenen Stärken ohne Eltern, nehmen Abschied von deren Allmacht – und suchen eine neue.

Aus solcher Suche heraus finden wir Idole, die wir manchmal erfinden, um überhaupt welche zu haben. Wir brauchen Höheres, Größeres. Wenn wir selbst schon nicht vollkommen sind, dann wollen wir jedenfalls ein Teil sein von Vollkommenem. Und das kann auch Hochkunst Fußball sein.
Die Millisekunde, mit der ich die Hand eines ganz Großen berühren darf, bekommt etwas geradezu Heiliges. Der Schnappschuss, den ich auf dem Handy schieße nach dem göttlichen Torschuss, gewinnt zu Hause den Rang einer Reliquie.
„Von Gottes Gnaden“ nannten sich unsere Fürsten, Könige und Kaiser, um ihre Autorität durch noch Höheres über ihnen zu steigern.
„Heroen“ sind verwandt mit der antiken Götterwelt. Nur, dass Heroen, „Helden“ (Alexander der Große, Geistesheroen wie Leibniz, Freud) durchaus in der Geschichte existieren, während es von (Halb-)Göttern nur Geschichten gibt.
Toll, dass die Götzes, Schweinsteigers und Co. nicht einfach Götzen (gedachte Bilder) sind, sondern Heroen, ganz real. Und wir Teile von ihnen sind, indem wir jubeln.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
22. Juli 2014