Scheidende Bischöfin

     
Die einen unter uns werden sich entsetzen wegen des Vorbildes, das nun keines mehr ist. Und statt des Tritts, den sie ihrem in ihrer Seele nun gestürzten Vorbild geben wollen, den Rück-Tritt Margot Käßmanns herbeiklagen, einfordern. Andere unter uns, deren Ehe bereits geschieden ist und die darunter leiden, sind entlastet, erleichtert, froh darüber, dass eine kirchliche Führungsfigur, also eine moralische Instanz, dasselbe tut, wie sie. Etwas zutiefst Menschliches. Und wenn ich Pastor(in) oder Mitarbeiter(in) der Luth. Landeskirche Hannovers wäre, der größten auf unserer Mutter Erde, und in einer dauerhaft verkümmerten Ehe leben würde oder gar in einer unglücklich-schmerzhaften - ich wäre ermutigt und sagte mir: Frisch auf, das mach ich jetzt auch, frisch, wenn auch nicht fromm!
Wieder andere, durchaus mit vielen glücklichen Augenblicken beschenkte und in tiefem Vertrauen und fleißiger Arbeit an ihrer Liebe zueinander miteinander lebende Ehe-Paare werden bei der Meldung "die Bischöfin scheidet sich von ihrem Mann" die Angst spüren, die man/frau immer spürt, wenn Scheidungsmeldungen aus der unmittelbaren Alltags-Nachbarschafts-Freundschafts-Kollegen-Nähe in einen dringen. Und warnen, dass auch 26 oder mehr Ehejahre scheidbar sind. (Zu denen gehöre ich).
Die Scheidung der Bischöfin ist das eine. Das andere ist, dass die Meldung uns untereinander scheidet, letztlich Auffassungen (wie "richtig/falsch") in der einzelnen Person scheidet. Dafür sind aber wir verantwortlich. Nicht die scheidende Bischöfin.
Ich lerne an mir, wie sehr erst eine Sympathieträgerin, ein Vorbild, eine moralische Instanz wie Margot Käßmann mich verunsichert dadurch, dass sie sich scheidet.
  Darf sie es nicht, weil sie Bischöfin ist? Vergleichsweise dürften in der Justiz dann auch nur Richterin und Richter bleiben, die noch keine Fehlurteile fällten, keine Ungerechtigkeit übten. O lieber Gott, wie weit müssten wir reisen, um solche zu finden? Nein, nach bestem Wissen und Gewissen lebt der Mensch nur menschlich und Ideale sind dazu da, dass wir sie anstreben. Nicht dazu, dass wir sie erreichen.
Margot Käßmann muß es dürfen, weil nicht nur Theologie, sondern auch die ihr in historisch gemeinsamen Wurzeln verwandten Psychologie und Psychotherapie raten: Für Partner, die nur noch Formalpartner sind und für ihre Kinder, ist ein Schrecken mit Ende besser als der dauerhafte Schrecken vergangener Liebe ohne Ende.
Eigentlich nehme ich ihr nur das übel: Daß ich neu in mich gehen muß.
Die christliche Ehe ist ein Ergebnis unseres westlich-abendländischen Kulturkreises, der Liebe in einer lieblos gewordenen Ehe eher neurotisiert als diese stützt.
Natürlich hätte ich lieber weiterhin eine ungeschiedene Bischöfin. Auch lieber eine geschiedene Bischöfin, die vom Amt scheidet. Noch wichtiger ist mir aber eine aufrichtige, eine wahrhaftige Bischöfin, als eine, die sich, andere und die Liebe zu ihrem Mann und anderen Menschen betrügt. Denn auch wenn sich jetzt Trittbrett-Scheidungen einstellen werden - dann ist die Welt der Liebe zwar wieder mal mit Schmerz konfrontiert und die moralische Welt um eine weitere (vermeintliche) Norm ärmer. Aber auch ein weiteres Stück ehrlicher.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
22. Mai 2007