Was wir wert sind

     
Da gibt es mindestens zwei im Kreis. Zwei Betriebe, die ihre Kunden auf kreative Weise verunsichern. Freund Simon, Christine, Dorothea und ich sitzen in einem Medinger Lokal, wollen die geistige Erfülltheit der Begegnung mit Äbtissin und Kloster (die Eindrücklichkeit in dieser Reihenfolge) mit der Erfülltheit des Leibes runden - und werden in Verlegenheit gebracht. Denn die Speisekarte weist Preise auf, ich sag Ihnen: Preise! Nämlich gar keine.
"Jeden Samstag im Februar bestimmen Sie den Preis!" steht an seiner, des Preises Stelle.
Wir sollen auswählen, schmecken, bewerten.
Für gesprächsfaule Gäste ein prima Debattenthema: Die Freundlichkeit des Service müssen wir ja mitbewerten , das Tempo des Angerichtetseins , Tischgedeck-Ästhetik . Nur wie viel…?
Ist das ein "feedback", eine Rückkopplung, eine Evaluation, eine Qualitätskontrolle? Die machen wir alle natürlich auch: Stadt-und Landkreisbehörden, Kfz-Werkstätten, Schulen und Höhere und Hochschulen. Nur, wenn in diesem Fall ein sehr gutes feedback gegeben werden sollte (allein schon wegen Freundlichkeit in diesem Restaurant, allein schon wegen Vorhandenseins eines Raucher-Saales müssten wir jetzt sehr, sehr viel mehr zahlen, als was wir zahlen würden. Wenn nicht Samstag wäre. Oder aber: Mißfielen uns tatsächlich Essen und die Menschen, die dies zubereiten und servieren.
  Oder wir wären schnäppchengeile Bundesbürger. Oder gelegenheitshungrige Jugendliche, die ihr Taschengeld schon für feine Klamotten zahlten…dann würde solch Angebot ja missbraucht. Und man zahlt im frechsten Fall einen Pfennig, pardon, einen Rappen, na, wie heißt denn das: Einen Heller eben. Oder ich mache es auf sprachlich raffinierte Weise und bestelle in diesem Stil: "Ich möchte für morgen einen Tisch von gestern vorbestellen…" und es bis zum Prozeß kommen lassen.
Was macht das gute Haus dann? Ich würde, was die Medinger da machen, so gern selbst mal machen: Eine Anfrage und Einladung zu einem Vortrag, zu einer Gastvorlesung, zu einem Artikel oder Buch und z.B. auch dieser Kolumne - beantworten mit: "Zahlen Sie, was ich Ihnen wert bin…" Oder was würde (mehr oder weniger) im Klingelbeutel der Kirchen klimpern, wenn der Pastor sagt: "Und wir bitten in die Kollekte, was Ihnen dieser Gottesdienst, meine Predigt, das Abendmahl, die Musik Ihnen wert sind…
Ein Fehler stecke in meinem Kolumnentitel? Es ginge in Medingen und dem ganzen Thema genau betrachtet nur um den Wert von Arbeitsleistung plus Ware? Und nicht um den Menschen, wie viel der wert sei? Na, denken wir genau nach - am besten an solchen Orten der Verlegenheit wie in Medingen, wo bald die Linden (und Allergien) blühen.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
22. April 2008