Von Nachrufen und Nachrufern

     

Ich will einen Nachruf schreiben und dabei fällt mir ein weiteres Mal auf, welch tieferen Sinn Nachrufe geben. Für den, dem der Nachruf gilt, ist ein Nachruf sinnlos. Jedenfalls im Sinne des akustischen Hörens zu Lebzeiten. Also liegt der Sinn von Nachrufen in den Rufenden. Aber schon wieder lehrt unsere Sprache, dass wir unter Nachrufen heutzutage nur Schriftliches verstehen.  
Also schreibe ich keinen Nachruf, sondern eine Nachschrift. Zumal es um jemanden geht, dem die Würdigung seines Schreibens an dieser Stelle auch wichtiger gewesen sein dürfte, als die Würdigung seines Sprechens.
Ich denke an Carl Friedrich Bautsch, unseren kürzlich verstorbenen Kolumnisten, der das konnte, was auf mich oft genug therapeutisch wirkte und wirkt: Plattdütsch.

Wo ich sie erwischen konnte, seine plattdeutsche Kolumne, nahm ich sie, um zu kontrollieren, wie eilig, wie gehetzt, getrieben die  Zeit um mich herum gerade floss.  Und wie die Zeit in mir und ich in ihr. Schon die ersten Zeilen von Bautschens Kolumne entschleunigten mich, verlangsamten den eben noch Eiligen, ließen langsamer lesen, langsamer verstehen. Und gründlicher Pointen der Sprache entdecken.

Menschen zahlen heute einen Haufen Geld für Entschleunigungsseminare. Die Plattdeutsch-Kolumnen von C.F. Bautsch machten es billiger für die, die die Kolumnen lasen. Heilsames im Abo inbegriffen.

 

Bewusst oder unbewusst lasen wir als humorvolle Mahnung, wie anders die Zeiten flossen, als die meisten Menschen in dieser Region noch platt sprachen, weil sie mit ihrem Hören im Mutterleib und Kinderjahren Platt hörten und sich von ihm prägen ließen.
Ich kannte C.F. Bautsch nicht persönlich, also konnte ich ihn auch nicht platt sprechen hören. Aber merkwürdig: Geschriebenes Platt wirkt (fast) so, wie wenn ein lebendiger Mensch zu einem spricht. Auditive Präsenz nennt das die Wissenschaft und grenzt das Hochdeutsch davon ab, dass dessen Wörter „nur“ Bedeutungen repräsentieren, keine Persönlichkeit des Sprechenden wie im Plattdütsch u.a. „Dialekten“. Dialekt ist auch eine falsche, manche beleidigende Beschreibung. Wörtlich übersetzt meint es etwas Kostbares: Dia-Lekt wirkt durch das Lesen, das Gelesene hindurch (dia=griech.=durch, hindurch sowie von lego, lat. ich lese, siehe der Lektor, der vorliest). 
Wenn Christine Heiligabend die Weihnachtsgeschichte nochmal zuhause in Platt liest, wenn beim Herrenabend mit den uns benachbarten Landwirten ab 1 Uhr morgens platt gesnackt wird – dann ändert sich das Wichtigste im Leben des Menschen: Atmosphäre.

Diese Kolumne erscheint außerhalb meiner 14 tägigen Reihe – an einem Dienstag, an dem eigentlich C.F. Bautsch‘s Kolumne an dieser Stelle stehen würde. Als Dank an ihn. Als geschriebener Nachruf.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
22. Januar 2018