Glück für Unglückliche

     

Ich beobachte sie genau: Eine Bevölkerungsgruppe lebte bis vor kurzem unter uns und zeigte in der Öffentlichkeit (Restaurants, Arbeitsplatz, überall wo Menschen sich häufen) folgendes Verhalten, das sich nicht nur im Einzelfall zur besorgniserregenden Auffälligkeit geriert: Zaghaftes Sich-Umsehen, Wegschleichen, acht Minuten Unsichtbarkeit, Wiederkehr unter Menschen mit dem verschämten Lächeln dessen, der Unrechtes, mindestens Unerwünschtes  tat. Und  alle waren sie im Gesicht und an den Händen gerötet. Einmal aus Scham, Verlegenheit. Zum anderen, weil sie allesamt leicht verfroren wirkend, manchmal gar zitternd vor Kälte in die Gesellschaft zurückkehrten.
Die acht Minuten setzten sich bei diesen Armen zusammen auf sieben Minuten Zigarettenkonsum  plus/minus einer Minute  gesellschaftlicher Absonderung und reuiger Wiederkehr. Nach einer skandinavischen Statistik braucht die Zigarette im Durchschnitt sieben Minuten, um von ihrer Länge zum zertretenen Papptabakbrei zu gelangen. Übrigens dauert Zigarettenkonsum genau so lang, wie – im Durchschnitt und ebenfalls nach einer skandinavischen Studie – ein Sexualakt. Jedenfalls ein skandinavischer.

Wir reden also von Rauchern.

 

Nur reiche, ökologisch verantwortungsarme  Raucher leisteten sich im Winter den laufenden Motor im Auto mit warmblasender Ganzkörper-Heizung bei aufgedrehten Fenstern und offenem Hubdach  mitsamt Benzinverbrauch - um den Tabak am Straßenrand oder auf dem Parkplatz zu genießen. Eine neue Sonderform von Genuss übrigens, für die ich den erfahrungspsychologischen Begriff des  „Trotzgenuss“ vorschlage.  
Jetzt, ab verlässlich mindestens 5 gefühlten Wärmegraden, entspannen sich die feinmotorischen Abläufe in den nikotingebräunten Raucherhänden, röten sich ihre Gesichtshäute aus Freude über die Natur, die ihnen – besonders wo sie einsam ist – den Rauchgenuss im Angesicht sprießenden Frühlings erlaubt. Zusätzlich röten sich ihre Gesichtshäute aufgrund der besseren Durchblutung in sozialem Miteinander. Denn jetzt dürfen sie sich wieder in Gruppen finden, in der Gastronomie an Biergartentischen hinten links oder vor dem Haus am Rand der Autostraße, deren Auspuffgase den Tabakrauch gnädig überlagern. Oder im Hinterhof in der Nähe der Ascheneimer, wo nur Hunde und Ratten mit geschädigt werden, keine Kinder sind und keine vorwurfsvollen Blicke, die mögliche Dispositionen zum Verfolgungswahn begünstigen. Aber es ist überall warm. Warm!




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
21. April 2009