Schwager Michael hat 65. Geburtstag, weshalb Christine eine besonders schöne Karte beschrieb und ich extra was dazu schreibe – immer erbaulich und aufbauend, wenn wir Jüngeren gratulieren können, die auch älter werden.
Weil der Umschlag durch meinen Zusatz (2. Postkarte) schwer wirkt, klebe ich wie immer doppeltes Porto auf den Umschlag. Dann dreifaches – als Garantie für pünktliche Ankunft in Saarbrücken. Zwanghaft – ich weiß. Vorauseilender Gehorsam, ich weiß. Aber dafür die Sicherheit, dass Michael säckeweise Wünsche be- und nichts zurückkommt.
Er kommt zurück, der Staatsbrief. Mit strafendem Aufkleber, 25 Cent zu wenig. Ich bin sicher, die Post irrt, was sie ab und an auch tut und darf und fahre Freitag (letzte Tüte, Samstag ist das Fest) die 4 km zur Poststelle mit ihren hilfsbereiten Fachfrauen. Kann nicht stimmen, sage ich und zeige den Brief, Fachfrau 1 wiegt. „Sie haben recht. Sie haben viel zu viel Porto geklebt. Komisch. Tut mir leid.“
Fachfrau 2 bestätigt mit „Sowas…“. Ich denke mir und sage laut, dass vielleicht einer meiner Studenten in der gerade begonnen Semesterpause bei der Post jobbt und den Brief auswiegt, auf der Waage eine Zahl auftauchen sieht und denkt, das sei der Fehlbetrag, dabei ist es mein weniger großzügiger als angstgesteuerter Überherbetrag. |
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„Kann gut sein“, sagt Fachfrau 1 und Fachfrau 2 kommt näher, nimmt den Umschlag. „Gewogen hätte er dicke durchgehen müssen, was ist mit den Maßen des Umschlags?“ Fachfrau 1 misst. „Breite, Dicke in Ordnung, warte, aber hier: 2 mm zu lang.“
Sie guckt im Porto-Heftchen nach und staunt. Es stimmt. Der Umschlag ist 2 mm zu lang, für unsere eiligen Augen ohne Plastik-Messlatte unsichtbar.
Ich danke für die Beratung, zahle alles nochmal, entschuldige mich in Gedanken bei meinen postaushelfenden Studenten für die 2 mm Unrecht.
Was sagen mir die 2 mm? So wird es weitergehen, auf Standards unseres Lebens bei Länge, Breite, Höhe, Tiefe von Postsachen und unserem Leben überhaupt. Jetzt verstehe ich, warum an verschiedenen Ecken der Erde nicht nur Tier und Pflanze geklont werden, sondern auch wir Menschen.
Heute genießen wir persönliche Freiheiten, die undenkbar für Vorfahren waren: Freie Wahl von Liebespartnern, Parteien, Berufen, Religionen – und millimetergenaue Einengungen. Bei Postsachen und Gurken. Früher- da kam die Postfrau am nächsten Morgen und bat um Bargeld. Das hatte sie für mich ausgelegt, um Falsches richtig zu frankieren. |