Vom Treckerfahrer und einem Broker

     

Und Friedrich von Schiller, der da schrieb: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem Nachbarn nicht gefällt. Mir gefällt das nachbarschaftliche Leben gut mit zeitweisem Fußball und „Wumm!“ am Holzlattenzaun nebenan. Jugend hält jung. Oder manchmal der Diesel des Traktors nebenan, ein echter Oldtimer, der ehrwürdig mit einer Art dezibelstarkem „Plop“ rumort.  Immer wenn ich aufhorche und bedauernd denke, dass er gestorben sei, der Diesel, dann folgt das verlässliche nächste „Plop“ aus den Tiefen seiner langen motorischen Vergangenheit
Also keinerlei Probleme mit der Nachbarschaft. Als ich während einer Redaktionssitzung mit Kollegen bei schönstem Wetter auf der Terrasse in Allenbostel sass begann nebenan der Fußball, Wumm! Ich lief rüber und bot dem Nachwuchs fünf Euro, wenn er für die Sitzungszeit auf das Training verzichte. Er verzichtete sofort und wollte partout kein Verzichts-Geld. „Natürlich, klar, das ist doch Nachbarschaftshilfe“, meinte der Vater.

Ich baute diese Story in einen Vortrag über „Lärmverschmutzung“ ein, den ich in einer großen Stadt in einer Klinik hielt, die nicht nur die Klinik, sondern auch eine große Aktienbörse hat. Unter den Zuhörern saß ein Broker, so einer, der mit Aktien wahnsinnig schnell handelt. Der stellte sich mit einer anderen Treckergeschichte vor: Er wohnt seit kurzem auch auf dem Land und sucht Nachbarschaftsfrieden, hat  den Friedrich von Schiller im Kopf (ein Broker!). Aber dessen Nachbar hat einen großen Hof
 

  mit einem Maschinenpark, aus dem ein alter PS-Hero, John Deere mit 200 PS und noch nicht lärmgefiltert die Welt um sich nachhaltig prägt. Ausserdem hatte der Bauer  einen ebenfalls alten Getreidetrockner mit Gebläse laufen. 
Der Broker schloss mit seinem Nachbarn einen Vertrag! Den hätte ich auch gern – nicht als Broker, sondern wenn ich der Bauer auf dem Hof nebenan wäre! Denn der Broker hatte vor dem Hinzug sogar einen extra kleinen  Pavillon für Geschäftsbesprechungen gebaut, als er noch nicht wußte, wie ein alter John Deere und noch älterer Getreidetrockner die Umgebung verändern kann. Bis zum Wahnsinn…
Er ging auch rüber zum Nachbarn und bot Geld dafür, dass er ab und an um Ruhe bitten würde – und der nahm es. Und zwar kriegt der Nachbar von dem Broker 0,1 Prozent des Gewinns von dem Tag, an dem der Bauer Ruhe gibt. 0,1%! Schriftlich nachgewiesen durch Zettel, die so aussehen wie Quittungen an den BAB-Tankstellen.

Ich weiß, dass der Bauer inzwischen einen zweiten Traktor, einen neuen, kaufte. Mit dem fährt er nur aufs Feld und läßt den alten auf dem Hof ab und an bollern, damit der Broker den Vertrag erinnert. Da lob ich mir meinen Nachbarn, denn der weiß, dass ich kein Broker bin. Leider. Obwohl, nein. Nicht leider. Denn den Broker lernte ich kennen in der Klinik, wo er wegen Burnout behandelt wurde. Den erlitt er nicht wegen der Nachbarn, sondern im Ersaufen des täglichen Tumults seiner Aktienbörse.



Den Autor erreichen Sie unter:

Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
19. Juli 2016