Meine Großmutter (väterlicherseits) schrieb im Juni 1940 an ihren Sohn (meinen Vater, an der Front stationiert), als dieser sich wegen einer schweigsamen Frau (eine längst vor meiner Mutter) in einer „Verstimmung“ befand:
„Junge, Krisen sind zum Reifen da…“.
Sie machte es immer gern kurz, diese Großmutter mit ihrem „Basta!“ –Wesen.
Variationen solcher Sprüche gibt es so viele wie es unterschiedliche Umgehensweisen mit Krisen gibt. Eine „Tradition“, wie der Mensch mit Krisen, mit Verstimmungen umgeht, lernte ich gestern nacht im tiefen Russland kennen.
Zunächst begann der Flug von Moskau nach Orenburg, indem er nicht begann: Start statt 20 Uhr erst 22 Uhr. Die Ankunft frühestens mit Zeitverschiebung um 2 Uhr morgens. Wer jedoch um diese Zeit nicht in dieser Nähe von Kasachstan landete, war unsere Maschine. Sie flog eine Stunde weiter, eine halbe Stunde ohne jede Information, warum. Die nächste halbe Stunde mit der Information, dass in Orenburg der November - Nebel die Landung verbietet. Es ging bis 4 Uhr weiter nach Ufa (Baschkierien).
Im dort extra für uns wieder aufgeschlossenen Flughafen gab es keinen europäischen Hoteltransfer für die kostenlose Übernachtung übermüdeter Leiber. Es gab auch keine kostenlosen Getränke in der schnell aufgeschlossenen Bar. Trostgetränke nur gegen cash. Dafür gab es halbstündlich über Lautsprecher die Information, dass die nächste Durchsage in einer halben Stunde folge. Was sie auch pünktlich tat - mit der Information, dass die nächste Durchsage wieder in einer halben Stunde käme . |
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Erstens lernte ich in dieser Nacht den Unterschied zwischen Durchsagen und Informationen. Zweitens lernte ich, wie Russen mit Verstimmungen umgehen, denn in einer solchen war ich (Milieu-Erbe, siehe mein Vater).
„Dann lasst uns feiern,“ jubelte Sergej (Gasprom-Repräsentant) und schleppte Wodka an unseren Tisch. Später folgte für mich Deutschen kühles Bier, Kognak für den Rektor meiner Gasthochschule, Boris Khavtorin, Apfelsaft für Tatjana, die Übersetzerin.
Wir tranken erstens auf diese Nacht, welche uns ewige Freundschaft wegen der gemeinsamen Not beschere. Zweitens tranken wir auf die Globalisierung, welche Besetzungen wie die Georgiens und noch größere Einmärsche überflüssig mache. Drittens brachte Sergej den Toast auf die Frauen aus, die eigene und die der anderen, viertens sprach Valerij für die Kinder, die eigenen und die der anderen, fünftens Lutz (Landmaschinen) auf die Demokratiezukunft Russlands…und schließlich ich, der ich diese russische Krisen-Feier hochleben ließ.
Dank der Teilhabe an Tatjans Apfelsaft, der dieselbe Farbe wie der Kognak hatte, konnte ich mithalten.
„Krisen sind Zeiten zum Trinken - ,“ sagte Sergej (Gasprom). Großmutter hatte nur halb Recht: Krisen - kleine und große - sind zum Reifen da. Aber eben auch zum Feiern…
Großmutter (väterlicherseits) jedoch war Deutsche und dies zudem vor zwei Generationen…Also – trinken wir auf diese Art der Krisen-Nutzung anstelle der deutschen Hochbegabung zur Verstimmung. Za zdorowje! |