Fischkutter in der Heide

     

Jan, mein übernächster Nachbar nach Alexander, ermöglicht mir mit seinem Traktor ein Erlebnis, für das andere Leute viel Geld bezahlen, weil sie erst nach Niendorf/Ostsee oder Husum reisen müssen, um erleben zu können, was ich kostenlos erlebe: Fischkutter, Hafenatmosphäre…
Jans Traktor ist ein Liebhaberstück, alt, ein Zweitakter und wenn er dieses gemütliche, aber dennoch dezibelstarke Plop –(Pause) –Plop – (Pause) – Plop ankriegt, dann schließe ich die Augen zu und  sehe sie vor dem inneren Auge: Fischkutter, diese würdigen, ebenfalls oft betagtenSchwimmwesen, deren Herz auch zweitaktigschlägt in ihren malerischen Häfen mit den am Kaiflanierenden Touristen, die auf Fisch aus direktem Fangk hoffen, egal was er kostet. Denn der Mensch will seine Idylle möglichst auch essen können.  So bin ich mitten unter den Glückspilzen dort im Fischkutter – Paradies, obwohl ich auf der Terrasse in der Ostheide sitze. Mit geschlossenen Augen.

Was ich da genau mache? Für alles gibt es die Wissenschaft: "Soundscape" meint soviel wie Klanglandschaft und "soundscaping" ist eine Aktivität für unsere Ohren geworden, die von dem kanadischen Komponisten und Pionier der Klangforschung seit den 60 er Jahrenin alle Welt entwickelt wurde.
 

Sein Beweggrund damals: Die schädigende Lautstärke und Dauerpräsenz von Geräuschwelten in Großstädten auszugleichen… Danach begannen Medizin, Psychologie und Musiktherapie das soundscaping mit Erholungskuren in die Natur zu verbinden. Heute ist es auf dem Weg zu einer Selbstbehandlungsmethode.
Ich schwöre auf unsere engere Heimat als gesunde Klanglandschaft:  Meine Ohren „sehen“ eben Großvögelrauschen der Kraniche, die genialen Rhythmen von Tauben und das Piepen der Kleinstmätze, die Musik eines Windes in verschiedenstem Baumlaub – und eben Fischkutter in der Heide. Dessen Plop – (Pause) – Plop auch unser Körpergedächtnis wunderbar an den Herzschlag der Mutter erinnern kann, also Geborgenheit herzaubert, die die labile Gegenwart ausgleicht.
Zugegeben: Mehrstündige Zweitaktermusik oder Rasenmähen mit Schulzes Riesentraktor durch Christian Schulz auf unserem Gras (zuverlässig am Freitag/Samstag) oder Motorsägen sind mir nicht das Liebste. Aber:
Wie klingt der Oldenstädter See? Wie klingt es auf Ihrem Balkon?Wie klingen die Schritte und Stimmen vom Personal in der Klinik? Wie der Wochenmarkt oder ein Freischwimmbad? Ohrenschmaus gibt auch außerhalb der Bühnen unseres Konzertbetriebs.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
18. August 2015