Himmlische Technik zu Weihnachten

     

„Der hat gut reden,“ dachte Untererzengel Gabriel der Kleine, als sein Chef, Erzengel Gabriel (der Große) ihm mitgeteilt hatte, er solle die alljährliche Geschenkliste für die menschlichen Diener Gottes auf Erden einmal unter Aspekten – bitte schön! – des technischen Fortschritts anfertigen. Dies sei der ausdrückliche Wunsch von Jesus, der den bevorstehenden Gedenktag seines Geburtstages auf Erden künftig innovativer gefeiert sehen wollte. Technisch innovativer.
Gabriel war im Himmel für Kommunikation im amtskirchlichen Bereich aller einigermaßen christlichen Religionen zuständig und neuerdings für Kommunikationstechnik.
Gabriel der Kleine warf projektorientierte Blicke auf die Erde: Wie sah die kommunikationstechnische Ausrüstung bei Priestern und Pfarrern aus? Tatsächlich – Gabriel der Kleine sah auf den Nachttischen orthodoxer und katholischer Priester, auf ihren Altären, in den tiefen Taschen ihrer weiten Gewänder nur Hl. Schriften in Buchform, Dünndruck mit höchstens 10 P in der Typographie - ohne Rücksicht auf die schwindende Dioptryn-Stärke älterer Gottesdiener. Und immer eingebunden in ewiges Schwarz. Als ob Schwarz motivierend für die Zukunft im Himmel sei!

Angesichts dann der handy-überrüsteten Evangelischen zündete in Gabriel dem Kleinen eine Idee: Warum nicht die Bibel auf die gigantisch wachsenden Speicherkarten in Handys vorinstallieren? Viele würden die Handys kaufen wegen der Bibel. Noch mehr aber würden ein neues Supermarken-Handy wegen der himmlischen Flatrate kaufen –
 

und die Bibel mitsamt froher Botschaft eben mit in Kauf nehmen. Man könnte auch die aktuelle Herrnhuter Tageslosung auf das Display zaubern. Oder zum Christfest die berühmtesten Malermotive von der Geburt Christi als MMS anbieten. Dürer, flämische Meister bis zu Beuys-Schülern. TV-Werbung: „Die Hl. Schrift zur Hl. Nacht mit…“ (und dann das Logo von Nokia oder iPhone oder Siemens oder so)!
Gabriel der Kleine rüstete einige russisch-orthodoxe Priester im Rahmen eines adventlichen Pilotprojekts aus. Mit dem allerneuesten Top-Handy, dessen Produzent begeistert war von der Idee Gabriels des Kleinen, die dieser dem Verkaufs-Chef-International (ein Dr. Fromm) über Fernhypnose im Traum eingab.
Ich habe einen der Pilotprojekt-Priester gesehen: Im Flughafen Moskau-Domodedovo. Schwarzes weites Gewand, lange graue Haare zum Zopf geflochten, Horngestellbrille aus Breschnjews und eine abgewetzte Aktentasche aus Stalins Zeiten, Sandalen. In seinen Händen das neueste und teuerste Handy (mit GPS, Wasserwaage, Wetteransage). Er starrte gebannt darauf, während seine Lippen sich bewegten und Murmeltöne entließen. Ich sprach ihn an. Tatsächlich: Er hatte gebetet. Aus der Bibel auf dem Handy.
„Damit kann ich jetzt auch,“teilte er mir in gebrochenem Englisch strahlend mit,“während des Gottesdienstes zwischen den Bibel-Lesungen SMS abrufen oder emails. Ein Gottesgeschenk!“
Zur (russischen) Weihnacht kriegen sie alle eins von ihrem Patriarchen. Mit Flatrate. Statt Weihnachtsgeld. Die Festnetze werden dafür gestrichen.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
16. Dezember 2008