Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
Sie haben Körperkontakt…

…mit einem Rind", hatte der Arzt zu meinem Freund und Nachbarn Alexander gesagt. Es war der Chefarzt der Klinik, die den Allergietest bei Alexander durchgeführt hatte. Regelmäßigen Körperkontakt mit Rindern und deshalb die Strafe der Allergie. Alexander bejahte den Körperkontakt, aber nur mit Frauen. Oder mit Männern beim Mannschaftskampf. Und auch, wenn Alexander sowohl seine Frauen als auch seine Kameraden hier und da als Rindviecher sähe, so seien sie nachweislich keine.
Der Arzt schaute erneut auf seine Testliste und zurück auf Alexander:
"Doch," sagte der Arzt bestimmt, er war auch Professor für sein Fach. "Doch, mit Rindern!" So bestimmt reden nur Naturwissenschaftler, die ihre HighTech-Meßgeräte sichere Daten so sicher sammeln lassen wir das Amen in der Kirche ist.
"Doch! Ihre Werte sind eindeutig: Enger und regelmäßiger Körperkontakt ist es. Sonst säßen Sie nicht hier."
Alexander war extra in diese Spezialklinik gereist, um sie wegzukriegen: Tränende Augen, Atemnotanfälle, endlose Niesparaden und zubetonierte Geruchsorgane.
Aber Kapazität und Chefarzt hin und High Tech-Medizin her - Alexander ist selbst Lehrer und reagiert besonders empfindlich bei Widersprüchen, die mit "doch" beginnen.
Also protestierte Alexander gegen die ganze Ballung von Autorität und lachte seinen Arzt an, um ihn nicht auszulachen. "Hören Sie, ich liebe meine Heide und ihre Viecher.

 Aber Rindvieh an meinem Körper - das wüsste ich! Pferde vielleicht ab und an: Ja. Meine Töchter reiten und ich hole sie manchmal ab. Dackel auch - aber -," Alexander lachte nun doch mit einem Timbre, das in Richtung Auslachen tendierte, "aber Rinder, Kühe, Ochsen, Stiere? Eindeutig Nein! Bauer Schulte im Dorf, der hatte zuletzt noch Rinder, die sie bei uns am Haus vorbeitrieben. Aber das ist Jahre her."
Alexander fühlte sich mal wieder bestätigt, dass manche Professoren in ihrem Elfenbeinturm zu weit weg vom gesunden Menschenverstand leben. Und fuhr nachhause.
Dort erholte er sich mit dem, was ihn am meisten erholt: Mittagsschlaf auf seiner Couch. Er betrat das Zimmer, legte sich hin und faltete das Kissen unter seinem Kopf so zusammen, dass er die AZ lesen konnte. Das fordert mehr als Geisteshöhe die physische Höhe des Kopfes. Dabei sah er auf das Kissen . Und in diesem Augenblick ergriff Alexander die Ehrfurcht vor moderner Naturwissenschaft und ihren Meßmethoden ebenso wie die Scham vor diesem Professor: Denn das Kissen, auf dem Alexander seinen Kopf täglich bettete, war schwarzweiß. Aus Kalbs-Fell. Seine Mutter hatte es ihm in das Studium geschickt, als er unter Heimweh nach dem Dorf litt.
Sein Arzt, den Alexander sofort anrief, um seine absolute medizinische Präzision hochzuloben, ärgerte Alexander mit einem weiteren "doch": "Hab ich doch gleich gesagt: Häufiger Körperkontakt zu Rindern."

(16. Mai 2006)

Den Autor erreichen Sie unter: Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de