Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
Rotlicht-Milieu

Ich wollte es auf dem Umweg zu dem kleinen Flughafen dieses ganz neuen EU-Landes mindestens einmal probieren. Erst versuchte ich, es meinem Taxifahrer in meinem kargen Englisch zu erklären. Nichts. Mein altes Latein, was ich besser kann und welches in diesem Land früher eine große Rolle gespielt hatt- quitterte er gar mit vorwurfsvollem Blick. Ich schrieb in fünf Buchstaben in der Landessprache auf, was ich wollte - auch nicht.
Aber als ich dann auf meinem Notizblock mit wenigen Strichen eine Frau zu zeichnen begann - da er nickte er bereits, obwohl ich erst bei einem kleinen Dreieck (Spitze nach unten) für eine Bluse und ein größeres Dreieck mit der Spitze nach oben (für den Rock) war. Ja, meine Frauenzeichnung aus Strichen entlockte meinem Fahrer da bereits ein Strahlen. Arme und Beine in Strichen waren nicht mehr nötig.
Er fuhr, wie ich es erwartete, nicht gleich zum Flughafen, sondern vor ein Kaufhaus. Mit Kunststoff-Puppen in den Schaufenstern und mit puppenähnlich geschminkten Frauen vor denselben. "Nä -?" fragte mich der Fahrer und zeigte auf eines Frau zwischen Autofenster und Schaufenster. Ich schüttelte den Kopf. Er pfiff durch das offene Fenster eine zweite Frau einige Meter weiter herbei und schaute mich fragend an.

 Ich nickte, weil die schlank und zierlich, fast die Figur von Christine hatte. Er sagte etwas zu der Frau und da passierte, was mich meine Dämlichkeit in Sachen Rotlicht erst nachträglich begreifen ließ: Sie lachte meinen Fahrer an, dann mich. Gleichzeitig zog sie kurz den Pullover hoch und zeigte - na ja, eigentlich ganz etwas Schönes.
Aber ich war viel zu erschrocken, als dass ich Schönes in diesem Moment auf dieser Straße am helllichtem Vormittag auch nur annähernd genießen konnte. Schließlich wollte ich nur auf dem Umweg zum Flughafen einen Rock und einen Pullover aus dem für diesem Land typischen speziellen Leinentuch (die Buchstaben dafür hatte ich gelernt) für Christine kaufen. Größe 36. Und die Frau links hatte die nicht, die Frau rechts ja.
Ich sagte in meinem Schreck erst mehrere Male "Irrtum, tut mir so leid - Irrtum" und schüttelte dauerhaft dabei entschuldigend den Kopf. Dann entschuldigte ich mich in Englisch und sagte etwas von Nur-Kleid-kaufen-Wollen - und siehe da: Die Dame antwortete in fließendem Englisch, verhüllte ruhig ihre Blöße und erklärte dem Fahrer, weswegen er mich nun wohin fahren sollte. Ich drückte der Frau dankbar etwas Geld in die Hand. Für ihre Übersetzung und weil sie Größe 36 hatte.

(15. Juni 2004)