Sticheleien in der Karwoche

     

Das Hotel auf der Reise zwischen Aachen und Zürich hieß „Zu den Hl. Drei Königen“ und legte deutlich Wert auf Werte und Normen und deren Pflege. Beim Abendessen servierte die Tochter des Hauses im Alter meiner Töchter und fragte, was ich so mache. Also fragte ich sie auch. Dabei erfuhr ich, dass sie 2013 geheiratet hatte.
„Da – eines davon bekomme ich Palmsonntag am Beginn der Karwoche“, sagte sie und lenkte mit ihrem Blick und ausgestrecktem Zeigefinger meinen Blick hin zu einem Glasschrank mit - - Nadelkissen! Vier, nein, fünf Nadelkissen. Genau die, von denen ich eines zuletzt am Handgelenk meiner Großmutter gesehen hatte, wenn sie nähte und mich Vokabeln abfragen sollte, was sie weniger gern tat, als mir von ihrer Kindheit zu erzählen, in der sie Vokabeln lernte.
Großmutters Nadelkissen war mit einer breiten gelben Kordel mit Troddeln dran um ihr linkes Handgelenk gebunden – dort, wo ihre Kinder und Enkel später Armbanduhren und noch später Geräte tragen sollten, die sowohl die Zeit als auch Alarm als auch Meerestiefen und Himmelsrichtungen messen und angeben konnten.
Dieser kleine grün bepolsterte Samtberg bewegte sich mit jeder Bewegung von Großmutters Unterarm und Hand. Je nachdem. Sanft oder dramatisch, je nach Erzählung von ihr und der Nähaufgabe.

 

Fünf verschiedenfarbige solcher Nadelkissen sah ich, als ich dem ausgestreckten Arm der Gastwirtstochter folgte (Hotelkauffrau in spe, ihr Mann BWLer, was für ein Traumpaar im Blick auf Hotellerie und Gastronomie).
„Ich kriege das zweite von links, das dunkelblaue mit dem gelben Verschluss“, sagte sie und erklärte: Sie war die zweite Braut im letzten Jahr gewesen von insgesamt vieren. Alle Paare, die letztes Jahr Ehe-Paare wurden, kriegten von den älteren Ehepaaren in der Gemeinde ein - - Nadelkissen. Als Symbol für die kleinen und größeren und möglicherweise großen Sticheleien, die das Paar im ersten Ehejahr durch- und überstanden hatte. Die Nadelkissen wurden in der Reihenfolge an die jungen Ehefrauen ausgegeben, wie sie sich getraut hatten. Als Ablageort für die Sticheleien der Vergangenheit. Und der Zukunft.
Die Männer? „Die tragen dabei Zylinder, ganze alte. Unter denen sind neue Taschentücher für uns befestigt – für die Tränen beim Krach und danach bei der Versöhnung. Die kriegen wir dann auch.“
Welch Ehehygiene vor den gefährlichen hohen Festtagen, die  jedenfalls frohe Ostern sichern hilft.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
15. April 2014