(Weihnachts-) Zeiten ändern sich…

     

Am Donnerstag vor dem 1. Advent 1876 reiste die 16 jährige Mathilde aus Holdenstedt nach ihrer Zeit auf der Höheren Töchterschule für ein Haushaltsjahr nach Aldingen auf der Schwäbischen Alb. Von Uelzen bis dorthin stieg sie 13 Mal um mit drei Warteaufenthalten von zwei bis drei Stunden und jeweiligem neuen Billet-Kauf. Am Dienstag vor dem 4. Advent schrieb sie nachhause:

Verehrter Herr Papa, liebste Frau Mama! Danke aus ganzem Herzen für das Päckchen zum Hl. Christfest, das der Postbote heute brachte! Er hat jetzt kurz vor dem Heiligen Fest zwei Säcke seitlich am Gürtel hängen und eine große Kiepe voll Post und das Vielfache mehr zu schleppen auf seinen Schneebrettern als im Sommer zu Fuß. Sieben Dörfer, fast bis zur Straße nach Tuttlingen runter! An ihn denke ich jetzt als Trost, wenn ich die zwei Male in der Woche den steilen Weg vom Haus hinunter zum Waschhaus muß – und dann wieder hoch. Die nasse Wäsche für uns vier Erwachsene und die fünf Kinder zurück zum Haus hinauf ist manchmal so schwer wie wir und wir rutschen wieder runter. Auf den Wegen zum Waschhaus runter und zum Backhaus hoch singen wir dann laut alle lieben Weihnachtslieder gegen die Kälte und den Wind an. Gestern sind die Bleche mit Plätzchen fertig geworden, die ich mit Euren Teig-Formen ausstach, die ich zum Schuh am Nikolaustag erhielt. Alle haben hier gestaunt über die Teig-Formen, die unsere Lübecker Kirchen zeigen. Ich habe erst hinterher in der Kammer geweint vor Heimweh…“

1938 schrieb die Urenkelin dieser Mathilde, Thea, an die eigene Enkelin Elisabeth, von Nettelkamp aus nach Berlin:
 

„Gestern wurde auf dem Platz vor dem Kriegerdenkmal Wintersonnenwende gefeiert. Es waren durch den Lastwagen mit SA-Leuten aus Uelzen sicher ebenso viel Menschen hier als übermorgen in unseren beiden Kirchlein sein werden. Gesungen haben wir neue Lieder. „Hohe Nacht der klaren Sterne“ und „Es ist für uns eine Zeit angekommen“. Auch ganz schön, nur der liebe Gott ist darin weggesungen worden und das Christkind sowieso. Paßt auf im Seminar bei Euch: Es sollen jetzt überall in den Schulen solche Horcher sitzen, die kontrollieren, ob wir auch tüchtig diese neuen Lieder singen…“

2004 schrieb der Urenkel von Elisabeth, Heinrich, genannr Heiner, an seine Eltern, wieder vor einem vierten Advent: „Liebe Rita und lieber Jochen! Wir haben uns nun geeinigt: Die Kinder sind am 1. Weihnachtstag bei ihrer Mutter, ab 2. Weihnachtstag abends bei mir. Die Scheidung wird noch dauern und das einzig Gute am Unguten ist, daß sie mit den Kindern am Ort geblieben ist. Danke für den Game-Boy, den Kinder-Computer und die Wärmejacken mit Batterienheizung! Ja, danke für das Angebot: Mir bitte also nur den üblichen Umschlag. Darin muß ja nicht so viel sein. Ihr sollt bei Eurem Mallorca-Weihnachtsurlaub auf den Mietwagen nicht unseretwegen verzichten. Frohes Fest also und anbei meine kleine Gabe. Jetzt haben die Lesebrillen schon Beleuchtung – wisst ihr noch unser Lied: „Meine Oma hat ne Brille mit Beleuchtung…“ Zugegeben die Brille ist ein Kostenlos-Geschenk von einem Versandhaus, aber praktisch für Euch in der Nacht. Denn du, mein lieber Alter, liest doch wahrscheinlich immer noch im Bett bis morgens, wenn Du, Rita, schon pennen willst? Habts nett miteinander!“

2010: Frohe Christfest-Tage denen, die sie wollen, wünscht Ihr Kolumnist



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
14. Dezember 2010