Erektion

     

Klar, jeder weiß, was das ist und manche besonders – sowohl beim Gelingen wie Mißlingen. Dabei taucht der Begriff in gänzlich außersexuellen Zusammenhängen auf, weil der sprachliche Hintergrund aus dem Lateinischen (erigo) schlicht „aufrichten,“ bedeutet. Und was richtet sich nicht alles auf außerhalb des normalen Sprachgebrauchs. Die Mediziner bezeichnen als „pilare Erektion“ (nochmal Lat.: pilus = das Haar) schlicht das Aufrichten der feinen Härchen z.B. im Nacken, an den Unterarmen usw.. Z.B. wenn der Mensch besondere affektreiche Erlebnisse hat, ihn Grauen, Grausen – oder Glück überfällt.
Die Volkssprache nennt das schlicht Gänsehaut. Eben diese, die pilare Erektion taucht aber nicht nur in medizinischen Zusammenhängen auf, sondern - in der Musik. Die Musikpsychologie umschreibt damit den Zustand des Menschen, dem sich beim Anhören einer besonders berührenden Musik die Haare aufstellen. Pilare Erektion eben. Musik, die berührt, seelisch „tangiert“ (ein letztes Mal Latein: tangere = berühren) lässt unsere Härchen wie Antennen sich aufrichten und beweist uns: Diese Musik ist wie eine tiefgehende Berührung.

Das passiert mitnichten nur bei Kuschel-Musik, sondern geschieht dem einen Hörer auch beim schmissigen Marsch, der den Hörer erhöht.

 

Dann wieder mitten in einem Wiegenlied im Weihnachtsoratorium von J.S. Bach. Oder beim zarten „Because“ von den Beatles und all der Musik, die ihnen nachfolgte, den Klassik-  und Pop-Größen. Pilare Erektion stellt sich ein bei Trauerchorälen in Passionen oder auch nur einzelnen Tönen in der Natur, die unter die Haut gehen und deren Haare aufstellen.
So kommt es, dass in einem Konzert in der Hanstedter Kirche bei nur zwei Querflöten ein Fachmann den anderen nach einer besonders ergreifenden Zusammenführung der beiden Instrumente zu einem Ton fragt: „Tolle pE-Musik, nicht“? Sowas würden wir nicht verstehen, aber nach dieser Kolumne: pE ist die Abkürzung in etlichen musikwissenschaftlichen Werken für eben diese Art von Erektion, die pilare. Und insofern greifen manche Lexikon-Autoren viel zu kurz, wenn  sie bei Erektion nur von „geschlechtlicher Erregung“ schreiben. Wie oft haben schon Momente der Holdenstedter Schloßwochen, der PoP-Konzerte ob nun von Grönemeyer oder kleineren Größen, Momente der Klavierkonzertreihe in Kloster Medingen und andere in der Ebstorfer Klosterkonkurrenz, ein Schützenblasorchester oder ein gemischter Chor schon für Erektionen gesorgt. Pilare natürlich.  




Den Autor erreichen Sie unter:

Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
14. Oktober 2014