Hallo!

     

Frau Groscurth, Gott hab sie selig, eine Freundin meiner Mutter und eine Dame, die diese Bezeichnung noch wirklich lebte , war damals schon sicher 70, als ich mich von ihr in einem Anflug der Leichtigkeit meines Seins verabschiedete, indem ich sagte: „Tschüs“.

Sie wunderte sich damals über meine allzu saloppe Art und teilte ihr Wundern meiner Mutter mit, die wiederum mich ungläubig fragte: „Hast du das wirklich so gesagt?“ Ich kehrte reuig zurück zum „Auf Wiedersehen, Frau Groscurth (u.a.)“.

Ich bin heute etwas jünger als Frau Groscurth damals war und nutze wieder das „Tschüs“, weil zehn Jahre später auch Frau Groscurth sich stets damit verabschiedete und kaum glauben wollte, daß sie dies „Tschüs“ mal moniert habe. „Nanu? War ich damals noch so altmodisch?“ fragte sie mich mit einer Prise Ungläubigkeit.

Heute bin ich es, der etwas moniert. Es ist das „Hallo“.

Nichts Grundsätzliches gegen „Hallo“ als Begrüßung. Aber – dachte ich bisher – so was geht nur unter besseren Bekannten, Kumpeln, Kameraden, Freunden und sowas. Jedoch empfangen meine mailbox, mein Briefkasten und mein Faxgerät zunehmend Briefe, die mit „Hallo!“ beginnen – von Leuten, die ich gar nicht kenne. Sie wollen Gutachten, Referenzen, Rezensionen und melden sich wie bei einem guten alten Kumpel über den Gartenzaun „Hallo – kann ich mal Euren Zehner-Schraubenschlüssel leihen, ich finde unseren nicht.“

 

Nein, ich verurteile solchen Briefbeginn klipp und klar. Richtiger: Ich verurteile die mangelnde Erziehung solcher „Hallo-Typen“, also deren Lehrer und Eltern. Natürlich erfüllte ich solchen Hallo-Typen auch ihre Wünsche nach Gutachten usw., aber doch deutlich distanzierter – in der Hoffnung, daß meine Distanziertheit (ich bin sonst anders) eine gewisse nacherzieherische Wirkung auf sie haben würde.

Offensichtlich komme ich jedoch mit der Nacherziehung zu spät. Denn unsere allgemeine Gesellschaft, was immer das ist, hat eine generelle Erhöhung des „Hallo“ zum offiziellen Nachfolger des „Sehr geehrten…“ oder des „Guten Tag…“ beschlossen. Denn seit einiger Zeit, heute gleich zweimal, beginnen auch Behörden den Kontakt mit „Hallo“. Sowohl mündlich (Rathaus Uelzen, das ich anrief wegen – ist ja egal) als auch die Hamburger Wissenschaftsbehörde (die ich schriftlich um Antwort bat wegen – ist ja auch egal). Die Uelzener Rathausstimme war unzweifelhaft kommunikativ und freundlich, ja sogar freudig, wie sie sich so meldete mit „Hallo…“. Auch der Brief von der Wissenschaftsbehörde (Ministerium) begann so: „Hallo, Herr…(der Rest war in Ordnung). „Hallo“ ist also jetzt offiziell und amtlich und ich richte mich darauf ein, daß ich – wie Frau Groscurth, Gott hab sie selig – in einigen Jahren „Hallo“ schreibe und sage. Weil ich auch als lernfähig und nicht altmodisch gelten möchte.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
14. Juni 2010