Welche Knochen - bittschön?

     

Welche Knochen - bittschön?
Dagegen ist die Glasvitrine im Besprechungsraum meines früheren Operateurs Dr. Schlummer im Klinikum Uelzen, immer aktuell weitestgebildeterFacharzt, ein winziger und  vor allem beruhigender Ausschnitt: In dieser Glasvitrine sah ich mit, was alles an Gelenken in mir ruhig verschlissen werden kann: Kein Problem, die Schlummers dieser Welt richten es mit einem neuen Gelenk. Wunderbar stählern, d.h. fast ewig, wirkten diese Alternativen für das natürliche Gelenk, das den Gang aller Dinge geht. Mit ihnen zu laufen, wenn ich endlich verschlissen genug bin, wird wahre Jungbrunnen-Gefühle von einst reaktivieren.
Aber jetzt – jetzt saß ich wegen des Streiks der französischen Fluglotsen in mehr Airport Wartehallen fest, als mir lieb war, weshalb ich in freundlich aufgedrängt  Zeitungen und Zeitschriften guckte.Und da las ich den Fachartikel über Implantations- und Transplantationsangebote gleich in zwei verschiedenen Tageszeitungen unter „Wissenschaft“.

Damit sich der Leser dieser Zeitschriften das auch bildlich vorstellen kann, inserierten Firmen der orthopädischen Industrie bzw. kardiologischen Geräteindustrie gleich neben den Wissenschaftsberichten
 

viele Bildchen von Beispielgelenken, die man jetzt oder ganz bald auf dem Markt kaufen können wird, weil die eigenen Knochen einem nicht mehr gefallen und wir denen nicht. Ganze Beispiellisten von all dem, was schon heute oder in ganz naher Zukunft medizinisch möglich ist, las ich. Oberschenkelhälse, Kniegelenke, Hüftgelenke oder die tollen Total-Implantate der Dental-Virtuosen von heute – all das sind kleine Möglichkeiten gegen die neuen Künste, die der Mensch bald kann: Ganze Schultergelenke, Wirbelsäulenpartien, Halswirbelsäulchen gibt es demnächst. Die vollprothetische Versorgung nach amputierten Teilen von uns – kein Problem, egal wo. Nur der Kopf, den haben sie noch nicht im Angebot.
Ich sehe  sie schon, die Traueranzeigen der Zukunft, die nicht mehr nur Angehörige anzeigen, sondern auch unsere Ärzte:„Mit Herrn X verlieren wir 18 unserer komplexesten und bewährtesten Gelenkkombinationen aus Stahl-Platingemisch“, „Mit Frau Y ging eine unserer langlebigsten Implantatserien von uns…“
Na, zumindest steigert sich für uns der frühere Gesamtfleischwert des Menschen (in den 60er Jahren 4,95DM, glaub ich) um Tausendfaches. Und vielleicht können  wir in Zukunft auch unsere wertvollsten Implantate vererben zur weiteren Verwendung.




Den Autor erreichen Sie unter:

Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
14. April 2015