Neidisch auf Bayern?

     

Derzeit lese ich nicht die AZ, sondern den AA, den Allgäuer Anzeiger. Den legt unsere fürsorgliche Bäuerin, Frau Hemer, immer abends nach oben vor die Ferienwohnung, in der wir Arbeitsferien machen (neues Buch). Morgens hängen da die Brötchen.
Deshalb weiß ich jetzt mehr über das Jubiläum der Bayern: 100 Jahre sind sie alt geworden, die Bayern. Nein, nicht die Bayern im Ganzen, die sind älter. Schon wegen der Wittelsbacher Fürsten, die sie allein 800 Jahre regieren ließen (unsere Welfen sind natürlich noch älter!). Aber 100 Jahre sind es, die sie als Republik, als Demokraten leben.
Der jetzt regierende Fürst, der Herr Markus Söder, hat in seiner Festrede zum Jubiläum dies gesagt: Hunderttausende Ausländer (wir Niedersachsen gehören wohl auch dazu) kämen jährlich auf das Oktoberfest, schlüpften in Dirndl und Trachtenanzug, nur um für einige Stunden das Privileg genießen zu dürfen, ein Bayer zu sein. Denn jeder Mensch trage die Sehnsucht in sich, ein bisschen Bayer sein zu wollen…

So ähnlich sagte er das, der bayerische Ministerpräsident und ich vermute, dass er Niedersachsen nicht kennt, welches auch Nachfolger von Herzögen und Königen ist, verdammt nochmal. Kennen der Söder und die Bayern überhaupt das Glücksgefühl, wenn man von Hamburg aus über die Elbbrücken fährt und nach ein paar Kilometern wieder zuhause ist? Oder umgekehrt von Kassel aus den Berg hochfährt
 

Richtung Hannoversch Münden und den Findling zwischen den Fahrbahnen der Autobahn weiß und sieht, der die eigentliche Landesgrenze markiert? Kennt er nicht! Denn diese verwischenden und verwischten Grenzen zwischen Bayern und Österreich und Bayern und Südhessen sind kaum welche.
Söders Rede im Allgäuer Anzeiger steht neben einem Bild vom Oberallgäu, wo wir jetzt sind. Eines mit Bergen, Wiesen und Kühen (noch mit Glocken) darauf und einem blauen Himmel darüber. Das ist wunderschön. Der Söder kennt uns aber nicht. Wir sind auch wunderschön zuhause, Gottnochmal! Wir haben, was die Bayern nicht haben: zwei Meeresküsten und unsere Heide dazwischen und mehr Himmel drüber als die hier, denen die Berge den Himmel verkleinern.  Nein, ich will gar kein Bayer sein. Auch kein bisschen. Auch nicht für wenige Stunden auf dem Oktoberfest.
Wir brauchen nichts außen zu zeigen. Wir tragen unser Niedersachsen, diesen tüchtigen Rest früheren Königtums, im Herzen! Jawohl, Herr Söder! Wir haben den Prunk äußerer Liebesbeweise nicht nötig! Wir pflegen Understatement mit unserer Heimat, Herr Söder. Wir haben keine steinernen Heiligen an jeder Brücke, aber Feldsteinkirchen. Wir haben keine Muttergottes über jedem Bett, aber deshalb doch keinen schlechteren Sex, Himmeldonnerwetternochmal.

Ich sei neidisch? Wieso? Weil ich mich so aufrege?



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
13. November 2018