Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
Streicheleinheiten

Es gibt sie schon. Vereinzelt. Diejenigen Apotheken, die nicht nur Pillen, Salben, Säfte, Tropfen und Verbandszeug verkaufen. Sondern zusätzlich das anbieten, was der Menschheit in unserem coolen Kulturkreis am meisten fehlt: Herzwärmende Streicheleinheiten. Ich meine ganz echte. So mit Umarmung, mit Haut und so.Damit meine Apotheke, in der diese Marktnische jetzt entdeckt wurde, nicht hoffnungslos überlaufen wird, damit sich nicht Schlangen vor der Glastür bilden nenne ich sie einmal - na, sagen wir : Ratsapotheke. In der Ratsapotheke war ich Zeuge, wie diese Streicheleinheiten dosiert werden und wie sie wirken. Ich war der dritte in der Pillen - Kunden - Schlange und ebenso plötzlich wie selbstverständlich passierte dies: Die Kundin, die gerade dran und mit der Pharmazeutin (ich nenne sie hier Frau W., W wie Weise) im Gespräch war, ging um die Ecke des Tresens herum auf die andere Seite. Und dort - ja dort wartete Frau Weise bereits mit ausgebreiteten Armen. In diesen, den Armen, lagen sie sich vielleicht jene drei bis fünf Sekunden lang, die sich auch bei Menschen beobachten lassen, die sich mögen.Jedoch war dies eine Szene, die ungeheure Strahlkraft hatte, weil sie in einer Verkaufsatmosphäre stattfand. Die Strahlkraft wirkte nicht nur auf die umarmte Kundin - auch auf uns in der Schlange dahinter. In Tausendstelsekunden schossen sie hoch:  Die warmherzigen Erinnerungen an spontane Zärtlichkeit. Die Hoffnungen auf solche und die Fragen, wo und wann und wie

man selbst das eigentlich zuletzt so erlebt hatte: Im Arm gehalten werden. Noch dazu von einer Profi - Frau für so was, deren Name (W.) schon für Weisheit bürgt. Man bedenke: Eine Umarmung, die länger als die üblich - flüchtige Party - Umarmung von einer Sekunde dauert! Was in einer solch zärtlich andauernden Umarmung an Biochemie im Körper verändert wird! Erst in der Dynamik in der Seele! (Probieren Sie's aus!) Ich fragte - hochmotiviert wie ich war - nach, unter welchen Bedingungen man welche Dosierungen von dieser ansteckenden Zärtlichkeit in der Apotheke erhalte und erfuhr, dass diese nicht verschrieben werden. Auch nicht bei cash auf die Hand, die einen umarmen soll. Es ist persönliche Zuwendung. Leider bisher nur beschränkt auf befreundete Kolleginnen und Bekannte. Wie viel erfolgreicher aber wären die Gesundheitsstrukturreformen, wenn die Ulla Schmidts und Horst Seehofers dieser Welt es vorgemacht und standardisiert hätten, was meine Ratsapotheke vormacht: Echte Streicheleinheiten mitzuliefern! Pillen zählen zu den mittelbaren Therapien, Beziehungen mit Zuwendung zu unmittelbaren Therapien (Psychotherapie sollte so sein). Aber nur in den funktionellen Therapien (wie Krankengymnastik) darf der Patient berührt, angefasst werden. Jedoch die Apotheke, die darf alles. Welch garantierte Umsatzsteigerung, wenn dies ein Markt nicht nur in meiner Ratsapotheke würde. Egal wie teuer die Zuzahlung zu den Mitteln wäre!

(13. Juli 2004)