Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
Fußballphilosophie Teil II

Holen wir sie uns wieder, wiederholen wir uns die Erkenntnisse in Sachen Sport, Massensport, Fußball: Kampf ist das ganze Leben, Rivalität und Sieg und Niederlage. Sie meinen, auch vor Gericht? Durch Zivil-und Strafrecht seien Regeln gesichert außerhalb des Sports? Dann prozessieren Sie mal oder seien Sie Beklagter: Vor Gericht und auf Hoher See bei Sturm sind wir nur noch in Gottes Hand. Oder in der des Teufels. Denn schuldig ist nur zu oft der Gemordete (sagte einmal Alexanders Freund Heinrich, der Landtagspräsident war). Nur im Sport gelten völlig berechenbare menschliche Regeln für menschlichen Kampf. Wer diese Regeln verletzt, missachtet, foult - wird ausgegrenzt. Regeln nehmen auch Politik, Wirtschaft, Familien - und Vereinsleben in Anspruch - aber ohne die offizielle Erlaubnis, den anderen zu besiegen, ihm Niederlage zuzumuten. Das darf nur der Sport.
Beim Sport erlauben wir (das Publikum), dem Sieger, Ruhm und Ehre zu genießen. Außerhalb des Sports missbilligen und misstrauen wir so jemandem der siegt und belegen ihn mit Charakterfehlern: Ruhm-Sucht und Ehr-Geiz. Fußball ist unter den Sportarten was Besonderes. Da fahren nicht einfach nur Leute in Rennwagen dauernd im Kreis herum (was nach dem Medienwissenschaftler Norbert Bolz "die größtmögliche Provokation menschlichen Geistes" ist). Im Gegensatz zu Fußball ist bei den Schumis dieser Welt die Highest Technik ihrer Autos mindestens so wichtig wie die Fahrkunst des Lenkers.
Fußball ist ehrlicher: Da dreht sich gar nichts im Kreis, schon gar nicht um Maschinen. Da spielen elf Menschen gegen elf Menschen und ein Ball ist ihr Medium für dies Spiel um Sieg und Niederlage. Da zählen nicht Tausende PS oder ein PS (wie beim Reitsport), sondern da zählen die vom Gehirn vollendet beherrschten Sehnen-und Muskelpakete. Unsere gegenwärtige (Sport-) Welt droht einzubrechen, wenn bei den Kahns dieser Welt die Zerrung Zerrung einer Sehne oder bei den Ballacks die einer Kapsel eintritt. In der Antike wurde bei den Göttern niemals auch nur annähernd um einen solchen einzelnen Körperteil eines Einzelnen gebangt und gebetet wie wir es heute tun bei einer WM. Die Sportärzte und Unfallchirurgen unserer Fußballgötter haben allen Leibärzten aller Könige und Kaiser den Rang abgelaufen, haben gesiegt in der Medizin-Hierarchie.

 Und sogar auf Dorotheas Freundin Sina, die jetzt Physiotherapeutin bei unseren Fußball-Stars ist, fällt ein göttlicher Schein, wenn sie zu uns Irdischen kommt und erzählen könnte von den Wehwehs im Fußball-Olymp. Was sie nicht tut von wegen Schweigepflicht.
Fußball ist ehrlicher, weil die beste strategische Abstimmung mit 10 anderen Spielern zum Sieg führt. Und nicht die Tausendstelsekunde Vorsprung wie bei Formel 1vor dem Zweitplatzierten, der wegen derselben Tausendstelsekunde eine Niederlage erleidet.
Kampf ist das ganze Leben. Nur der Sport garantiert den klaren Sieger. Und ebenso den Unterlegenen. Der aber nie ein "Looser" ist wie im sonstigen Leben. Sondern potentiell ein Sieger vor dem verlorenen Spiel und erst recht vor dem nächsten. Den Autor erreichen Sie unter Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de
Wie sehr Fußball inzwischen Kult ist und auf dem Weg zur Kultur, können wir nicht nur sehen am Bildschirm. Vielmehr auch hören. Denn: Auf z.B. den Autorennen-Pisten ist der crescendierende Krach der Mega-Motoren Trumpf. Im Fußballstadion hingegen die menschliche Stimme im Kollektiv. Das trennt die Niveaustufen: Psychologisch nimmt der, der Krach macht - jugendsoziologisch gesehen - einen höheren Status ein. Siehe die zivilen Autofahrer, die mit offenen Fenstern und aufgedrehtem Baß ihrer Spezialanlage im Auto langsam dahinschleichen und am liebsten bei Dauerrot vor der Ampel stehen. Oder siehe der Jugendliche mit seinem aufgedrehten Gettobluster…Solch Krach ist ja nicht auf der Autobahn bei 160 zu hören oder im einsamen Wald. Nein, der Baßdröhner im Auto bevorzugt Innenstädte ebenso wie der Jugendliche mit seinem Gettobluster überfüllte Strände. Solch Krachproduktion ist Ausdruck der Sehnsucht nach - ja, nach - ja, nach was eigentlich? Siegen wie im Sport kann man ja bei den Krachwett(be)werbern nicht. Die Krachmacher drücken ihre Sehnsucht nach Beachtung, nach Anerkennung aus. Von der der Analytiker Adler sagt, dass sie mindestens so sehr den Menschen beherrscht wie der Sexualtrieb, den Siegmund Freud als Hauptorganisator des Menschen sieht.
Hingegen Fußball macht keinen Krach. Im Fußballstadion regen sich im Gegenteil Kräfte, die wieder auf die Sangesfreudigkeit der Deutschen hoffen lassen. NDR Kultur sendete jetzt pünktlich zur WM die erste Kantate, die nur aus Stadiongesängen komponiert wurde - heute heißt das collagiert wurde.

Holligans…

(13. Juni 2006)

Den Autor erreichen Sie unter: Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de