Liebe im neuen Jahr

     

Ihr Liebesproblem zeigte sich, als die beiden taten, wovor sich vernünftige Leute warnen: Vorsätze fürs neue Jahr zu fassen.
Bisher habe ich sie beneidet: Sebastian und Sabine. Denn sie sind ein erfahrenes Paar (oberhalb der Silbernen), dazu ein sehr bräutliches Paar. Immer dann, wenn Christine und ich dies nicht sind – bräutlich zärtlich – dann beneide ich die beiden. Sie schreiben sich nämlich Zettelbriefe. Zettelliebesbriefe bzw. Liebeszettelbriefe. Keine Einkaufsliste, keine alleinige Mahlzeit - ohne Briefliebeszettelchen. Alle SMS, mails, Postkarten beweisen Sebastian und Sabine ihre Liebe.
Jedoch beim Vorsatzfassen kam Sand ins Getriebe der Liebe der beiden. Genauer: Es zeigte sich alter Sand im Getriebe und das kam so: Beim wechselseitigen Austausch von „Was wünsch ich mir von dir 09“ (woraus dann Vorsätze entstehen sollten) hatte Sebastian sich gewünscht, Sabine möge doch die ewig gleiche Anrede in ihrer Zettelkultur („Mein geliebter Schatz“) einmal ändern. Irgendwie varriieren. Sie wisse doch: Jede Stereotypie in der Liebe sei der Anfang ihres Endes.
„Wie denn?“ hat da Sabine gefragt. Und er, Sebastian, habe sie daran erinnert, dass sie ganz früher mal statt „Mein geliebter Schatz“ auch mal hier und da „Mein sehr geliebter Schatz“ geschrieben habe. Das sei doch was. Oder sei er das nicht mehr? „Sehr geliebt“?

 

„Ach je - das hatten wir doch schon mal,“ murmelte Sabine und wurde dann deutlicher: „Damals hast du noch größeren Krach gemacht, als ich dich mal in einem kleinen Krach nur mit  `Mein Schatz` angeschrieben und angeredet habe. Ich wollte schreiben, wie ich fühlte. Aber seit damals geh ich auf Nummer sicher und schreibe einfach immer diese gute Mitte:,  `Mein geliebter Schatz`. Ist doch schon sehr hochrangig und kann immer gehalten werden…“

Da sei, Sebastian sprach bedrückt, gleich wieder Krach ausgebrochen Neujahr. D.h. kein richtiger Krach, den gebe es gar nicht zwischen ihnen, nur eben so ein Streit, ein Streitleinchen, eine Irritation: Weil das eben so gemein sei von Sabine, ihm den Grund für diesen Liebesentzug (nie mehr „Mein sehr geliebter Schatz“ lesen zu können) zuzuschieben.

Ich bedauerte, Sebastians Bitte um eine kleine, nur ganz kleine Krisenintervention für Sabine (er müsse sie noch fragen, er selbst brauche keine) ablehnen zu müssen. Weil ich beiden zu nahe stünde und da könne man nicht behandeln. Auch nicht ein bisschen. Und schon gar nicht ohne ihn. Aber ich wünschte ihm ein gutes neues Paar-Jahr mit guter Freude an anständiger Streitkultur. Und gab ihm eine Beratungsadresse.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
13. Januar 2009