Rudi

     

Im Pommerschen Landesmuseum in Greifswald kann der Spruch gelesen werden: „Im Winter ist der Pommer/ genauso dumm wie im Sommer/ Nur im Frühjahr ist er klüga(er).“ Auf Rudi trifft dies nicht zu. Ich hatte keine Ahnung, wer Rudi sei, als ich das offene Werftgelände in Lassan im Lassaner Winkel am Peenestrom gegenüber von Usedom und dicht bei Polen betrat. Der Winkel gehört zum Landkreis Ostvorpommern, Autokennzeichen „OVP“, einheimisch übersetzt: Ostdeutschlands vergessene Provinz.

„Bevor Se diese Jrenze überschreiten, muss ich vorher jefragt werden“, dröhnte eine Stimme, Rudi`s Stimme. Sie dröhnte aus einer roten Latzlose. Ich entschuldigte mich und trug mein Anliegen vor. Na jut, ich durfte passieren.

Das nächste Mal kletterte ich in die Yacht von Herrn Mersch, der mir das erlaubt hatte, weil vielleicht ein Törn damit bevorstand nach der Reparatur des Diesels, die der Chef-Monteur der Werft vornahm: Rudi in der roten Latzhose, gleichzeitig Werftbesitzer.

„Sie schon widder! Wat machense denn unter meinen Werkzeugen?“ dröhnte die rote Latzhose. Ich entschuldigte mich, ich hätte nicht gewusst…und ich hätte auch gedurft, weil Herr Mersch…usw. Rudi grinste und winkte meine weiteren Entschuldigungen ab.

Na gut.

Frank ist ein Mitarbeiter von Rudi und als ich ihn siezte, gab es verbale Kloppe. Frank teilte mir in einem Affektdurchbruch mit, dass das hier auf Rudis Werft eine Beleidigung sei, das „Sie“. Wie ich richtig heiße, fragte er, nach dem Affektdurchbruch. Ich ging in die Knie und beeilte mich, meinen Vornamen zu nennen, mit dem ich christlich getauft wurde.
 

Frank war das zu lang und er taufte mich ohne Christentum umgehend und verkürzend um: Hansi.

Ich schlich wortarm an Rudi vorbei, weil ich nicht wusste, wie man eine solche Majestät in seinem Königreich am Ende der Welt anreden sollte ohne eine neue Abfuhr. Hallo Chef oder Gute Nacht Herr Menge ?

Ich näherte mich eingedenk Franks Ausbruch dem Königmengelchefrudi mit meinem Angebot. ihn zu duzen. Ich sei schließlich der Ältere.

Majestät beguckte mich von oben, lachte und seine Rechte reckte sich auf meine Rechte zu. „Rudi!“ sagte Rudi.

Ich wandte ein, dass dies so schnell nicht bei mir ginge. Ich brauchte dazu mein Ritual mit meinen silbernen Becherchen und einem Kirsch darin. Dann gerne.

Rudi stutzte, dachte nach und nickte. Na, denn eben anders. Um 19 Uhr an Bord von Tilmann`s „Stine“.

Als ich ihm nach dem Ritual sagte, dass ich über ihn schreiben will, sagte einer der vielen, die Rudi von ihrer Rentner-Bank aus beraten: „So `ne dicke Titelzeile jibs nich, wie Rudi se braucht…“

Es gibt keine Titelzeile, Rudi, aber diese Kolumne. Du bist meine wandelnde Erholung („Warum so eilig, Junge“) in deiner roten Latzhose und – dank Deiner Frau – meistens weißem T-Shirt. Magdeburger Frauen sind meistens chic. Nein, der Spruch im Museum in Greifswald greift nicht immer.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
12. August 2008