Der Vorteil eines Staus

     

Der Stau im Verkehr, ja der, in dem wir stehen bzw. der, der wir dann  sind, hat durchaus erzieherische Vorteile: Es wird deutlich mehr gegrüßt. Dieses Moment, wenn jemand auf der Nachbarspur mit Blinker oder gar aus dem heruntergelassenen Fahrerfenster mit der Hand wedelnd bettelt und ich ihn dann großherzig vor mir einscheren lasse – dieses Moment genieße ich. Denn die meisten Einfädeler, die sich längst von der Höflichkeit dankbarer Gesten ausgefädelt haben, danken wieder. Zwar meist nur mit jener lässigen Hebung der auf dem Lenkrad liegenbleibenden Hand – aber immerhinque, sie danken. Manche auch mit begleitendem Nicken des Kopfes. Autobahndank.
Innenstadtdank:In Uelzen gibt’s jetzt derzeit eine Baustelle, auf die die Doppelfahrbahnen todsicher zuführen, ohne Ausweichoption, eben wie das Leben auf den Tod.  Das ist noch strengere Erziehung: Da heben sich ganze Hände zum Dank und die Autos schieben sich so langsam vorbei, dass auch das Antlitz gewendet, meist genickt und sogar - manchmal - dazu gelächelt wird. Am meisten und liebsten sind mir Frauen, die ich vorbeilasse.
Kann auch sein, dass diese wenigen Männer, die im Stau abhängig von der Großzügigkeit weiblicher Fahrer sind, denen ebenso herzlich danken wie die Frauen mir. Ich bin eben keine Frau, der gegenüber sich die allerkleinste Dankesgestezu Größerem entwickeln könnte.

 

Im Dorf hier entstehen auch Nadelöhre, Staus – meist aus zwei Fahrzeugen. Denn Traktoren, wenn sie stehen, weil auf dem Hänger aufgeladen wird, z.B. jetzt in der Forst, im Herbst am Rübenacker, verursachen auch Nadelöhre, Staus. Das führt oft zu noch mehr als dankbaren Gesten derer, die vorbeigelassen werden. Nämlich zum Ausschalten aller Motoren, zum Aussteigen und einem kleinen Plausch.
Einen Höhepunkt der Folgen eines Staus (Dankbarkeitsgeste, - lächeln, - plausch) ist der Dankbarkeitskuß. Den erlebte ich jetzt auf kleinstwagenengerGasse in Arta` auf Mallorca. Da stauten sich vier, fünf Autos, auch unseres, vor dem vordersten, weil der Fahrer durch die heruntergelassene Scheibe mit einer zu ihm sich beugenden Frau redete (dunkellanghaarig, rassig-mallorquinisches Profil und sportiv-jugendliche Gestalt). Keiner hupte, alle beobachteten. Schließlich steckte der Fahrer seinen Kopf halb aus dem Fenster und das Wesen kam ihm entgegen: Kuß. Langer Kuß. Abfahrt des ersten Wagen. Nun rutschte der wartende Wagen nach vorne. Christine und ich sahen, wie die Frau, sich eben noch abwendend, angerufen wurde. Lachen, zwei Schritte zurück zum zweiten Auto, Fahrerkopf hinaus, Frauenkopf entgegen. Kuß.  Dann der Wagen vor mir…Ich? Ich mußtedurchfahren. Christine saß neben mir.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
12. Mai 2015