Neujahrsempfänge

     

Bürgermeister Lukat im Uelzener Rathaus und Äbtissin Krüger im Kloster Ebstorf waren mit die Hurtigsten mit ihren Neujahrsempfängen. Solche Empfängnisse zu Neujahr sind immer „Nadelspitzen in der Zeit, auf denen sich Vergangenes mit Zukünftigem trifft“ (Sigmund Freud). Auf Neujahrsempfängen wird, ob christlich oder politisch oder wirtschaftlich oder –wie meistens – alles gemixt: Rückschau undVorschau, durchsetzt mit Trinksprüchen für die Gäste und die Gastgeber auf ihre gewesenen und ersehnten Erfolge.

Mein Neujahrsempfang ist immer privater Natur und wir sind fünf Herren und bis auf einen (mich) der Landwirtschaft verbunden. Denn ich bin nur dem Land verbunden.

Wir trinken auch, wechseln auch das Trinken mit Zwiebelmettbrötchen und Gurken von Christine, gucken auch zurück und nach vorne, aber wir machen es uns bequem auf einer Nadelspitze mit einer ganzen Plattform für Zeit (von 8 bis 2 Uhr morgens). Denn wir brauchen bedeutend Zeit als andere Neujahrsempfänge. Grund: wir machen mehr Musik als dass wir reden. Musik mit unseren Bleikristall-Gläsern. So sitzen wir die meiste Zeit und lauschen den unerhört langen Ausschwingungen nach vorsichtigem Gläseranstoßen nach. Immer nur zwei von uns stoßen die taillierten Gläser mit tiefem Rundbauch eines französischen Glasbläsers mit ihrem geheimnisvollen Resonanzraum aneinander und lauschen dem Schwingen nach. Präludium und Finale erfolgen mit chinesischen Flachschalen mit Hohlraum, die beim Schlucken feine Fieptöne spielen. Länge je nach Puste.

 

Bis zum Ersterben des Klanges wird den Tönen nachgehorcht. Obwohl der physikerfahrene Komponist Karl Heinz Stockhausen predigt, dass keine Schwingung eines einmal geborenen Tones je ganz stirbt.

Eine Ausnahme gibt es, in der wir fünf alle fünf Gläser zeitgleich in der Mitte anstoßen und sich fünf Frequenzen mit ihren Obertönen zu einem Klangbrei mischen: Wenn wir „königlich-hannoversch“ prosten. Die Geschichte geht so: König und Minister am Hof von Hannover erfuhren, daß an Feiertagen zuviel gevöllert, gehurt und besonders zuviel gesoffen wurde. Besonders auf den Dörfern, wo in den Gasthöfen oft nur eine Ein-Frau- oder eine Ein-Mann-Bedienung für Ausschank, Kochen, Servieren, Nachschenken ihre Frau oder Mann stand.

Da dachte man sich gegen das zu viele Saufen eine Regel aus: Es durfte nur solange nachgeschenkt werden, wie die Gäste an einem Tisch die Gläser akkkurat zeitgleich in ihrer Mitte anstießen (was eben auch draußen in der Küche von der Ein-Mann-Bedienung zu hören war). Hingegen beim Nacheinander-Klackern von Gläsern oder Humpen gab`s nichts mehr. Do wörn se denn all to besopen…so unser alter Uronkel Oberdieck in seinen Notizen für die Chronik von Suderburg 1910 (bei Becker`s Druckerei)..

Auf meinem Neujahrsempfang erklingt unsere Gläsermusik bis zum sehr frühen Morgen als Musik.Weswegen weniger getrunken als gelauscht wird. Wirkliche Genüsse müssen begrenzt bleiben. Sonst sind es keine mehr.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
12. Januar 2010