Friederikes Klobrille

     
Bergmanns Jessica zieht nach ihrer Ausbildung aus dem Mädchenzimmer zuhause aus und um. Nach Hannover. Alexanders Friederike ist auch fertig und zieht aus ihrer Studentenbude aus und um. Nach Hamburg. Friederike zum dritten Mal. Alle Menschen sind öfter als einmal im Leben am Ausziehen und damit Umziehen. Die Geburt ist der erste Aus - und Umzug (siehe die Geburtsanzeigen der Säuglinge, die wegen zu engen Wohnraums ausziehen). Danach kommen weitere: Auszüge aus der Wiege, dem Kinderzimmer. Umzüge sind so oft, dass sie gewöhnlich sein sollten. Was sie nicht sind. Denn jedes Mal hinterlässt man etwas auf dem Sperrmüll oder bei Nachbarn und jedes Mal kommt für die neue Wohnung was hinzu. Was aber vom Bisherigen zieht jeweils mit um? Was wird speditiert?
Friederike zieht mit ihrer Klobrille um. Vom ersten kleinen eigenen Zimmerchen mit Badezimmerverschlag be-sitzt sie eine eigene Klobrille. "Be-sitz" im wörtlichen und im übertragenen, kapitalistischen Sinn.
"Da bin ich eigen," meint sie. Und besteht beim Umzug auch darauf, diese Brille selbst abzumontieren und tapfer durch die Heerscharen männlicher Umzugshelfer zum Speditionsauto zu transportieren (Beckers Firmen-Kastenwagen aus Linden). Tapfer ist sie, weil die Umzugshelfer natürlich dies Phänomen der zum Eigentum der Mieterin gehörenden Klobrille aus einer Mietwohnung eigentümlich finden.
  "Ich bin da eigen," meint natürlich, dass Friederike einen besonderen Anspruch an Körperhygiene hat. Oder - weiter gefasst - an Ästhetik. Letztlich zieht sie mit ihrer Ästhetik um.
Andere Menschen ziehen mit ihrer Zwanghaftigkeit um. Z.B. Onkel Gerhard, der mehrere Biedermeiermöbel zurückließ, aber die beiden Schränke mit seiner Briefmarkensammlung mit ins Altersheim umziehen ließ. Sammler sammeln, damit nach ihrem Tod etwas von ihnen bleibt (die "Denk-mal"-Funktion). Oder Tante Uschi. Sie zieht immer mit ihrem 2, 75 Konzertflügel um, obwohl sie gar nicht spielen und klassische Musik nicht leiden kann. Tante Uschi zieht mit ihrer Freude an Repräsentation um.
Oder Alexander: Er besitzt viel: 5000 Bücher, zwei Klaviere, zwei Pferde, vier PC`s, drei Frauen. Wenn er umzieht, "siebt" er (außer Frau und Töchtern) und nimmt eigentlich von allem was mit. Teile für das Ganze, pars pro toto. Wie Noah, der auch von allem ein bisschen mit in die Arche nahm. Weswegen aber Umzüge richtig schwer sein können und einem schwerlastig nachhängen, hängt mit dem schwierigsten Umzugsgut zusammen. Der Seele. Nach der fragen nur die wenigsten Umzieher und Spediteure. Passen wir auf, Jessica, Friederike und wir alle, die umziehen, dass die Seele ebenso gut behandelt wird - wie Friederikes Klobrille.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
11. September 2007