Leider, leider ist sie zuende. Unsere WM. Und damit auch meine
kleine Fußballphilosophie. Fangen wir ihren Schluß
an mit Siegern und Siegen. Wenn Siegen und Sieger wirklich spannend
sein wollen, dann dürfen es nicht immer wieder dieselben
sein. Mit Bayern München geht es im Blick auf Spannung,
auf Abenteuer, auf Überraschung ein bisschen bergab. Weil
sie nahezu-immerzu Deutscher Meister sind und wir uns höchstens
wundern, wenn sie es mal nicht sind.
Sieg ist dann nur wirklich spannend, ist überraschender
Triumph, je weniger er vorausberechenbar ist. Insofern ist die
massenpsychologische Erfahrung, wie wichtig begeisterte Fans
für den Sieg derer sind, für die sie sich begeistern,
die Spannung verringernd. Meister, heißt es, internationaler
Meister, Meister der Welt würde der, der zuhause wettkämpft.
Mit heimischen Bedingungen. Mit seelenverwandten Fans, die die
Höhepunkte eines Spiels herbeijubeln, die Tiefpunkte beweinen
- manchmal mehr als der, der tiefpunktet bzw. daneben spielt.
Siege finden dort statt, wo die Hoffnung der Spieler potenziert
wird durch die Hoffnung der Fans. Hieß es. Bis jetzt,
wo wir uns mit der Weltmeisterschaft im Gastgeben, nicht im
Spiel der Nationen ehren dürfen.
Was uns bei immer gleichen Siegern, also langweilenden Siegen,
an den Sieger kettet, ist das Ritual, verehren, bejubeln, idealisieren,
anbeten zu dürfen. Was wir uns in unserer mündigen
Demokratie versagen, was wir dort nicht dürfen, weil sie
sonst keine mündige mehr wäre. Wir treffen uns selbst
bei langweiligen, weil vorausberechenbaren Siegern
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und bejubeln sie, weil wir sonst nirgends mehr so unbefangen
jubeln und huldigen dürfen. Wer jubelt heute noch so öffentlich
für (s)einen Gott oder sonstige Größen wie für
Fußball-Weltmeister? Das sind wenige idealisierende
Menschen, Psychotiker, die im Wahn leben und dem Sieger als
Vollkommenen möglichst nahe sein wollen, Teil von ihm sein
wollen, weil sie allein unter dem Unvollkommenen unerträglich
leiden.
Weltmeisterschaften bieten das erhebende Gefühl, Ausgewählte,
sportlich Erwählte legal und öffentlich anbeten zu
können - weil alle anderen denselben anbeten. Fußballgötter,
auch die auf dem dritten und vierten Treppchen, erlauben uns
Rituale, die uns wieder vereinen in etwas, was wir uns sonst
verbieten: Einen Kult. Sich in einem Kult zu treffen ist eigentlich
Sehnsucht jedes Menschseins, das die verlorene Vollkommenheit
woanders sucht. In Kult und bei den zu einem Kult gehörenden
Göttern. Das ist Fußball geworden, ein Kult mit Göttern
unserer Welt, die medial vervielfältigt sämtliche
bisherigen religiösen Götter überholten, besiegten.
Sie hat sich ausgespielt, unsere WM. Und all unser jauchzendes
Treffen in einem gemeinsamen Kult entzieht sich uns.
Was kommt? Nur Vergessen? Warten auf nächste Sieger? Ach
was. Der Sieger trägt Lorbeer und Lorbeer hält lang.
Der Verlierer, der sich als Märtyrer fühlen sollte,
trägt Palme - und die hält ebenso lang. Tragen wir
also stolz, was uns gebührt. Und zeigen wir weiter, was
wir endlich ein bisschen lernten: Flagge zeigen. Das nächste
Mal am 3. Oktober. Was da ist? Die nächste Gelegenheit,
uns als "Wir" zu fühlen: Nationalfeiertag.
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