Oh Havanna

     
Die 345 km-Strecke nach Klein Jasedow führte immer weiter weg von den Zentren der Nation. In den Lassaner Winkel. Der liegt gegenüber der Insel Usedom und ist bevölkert von äußerst gesundheitsbewußten Menschen. Kräutergartenkulturen, Massage-und Physiotherapie mit und ohne Duft und Gong und Flöten, Kürbisfeste mit entsprechend abgestimmten Kürbissuppen, Gemüse, frische Fische aus dem Peenestrom, Gemeinschaftsessen. Mit einem Wort: Es geht in eine alternative Welt - noch dichter gewoben als unser Wendland. Und ähnlich der, aus der wir alle stammen und wo der Mensch noch den Holzwurm im Holz raspeln hören konnte (was in Jasedow wirklich möglich ist).
Vor der Sitzung mit diesen Menschen der ebenso kleinen wie feinen Akademie in Kl. Jasedow rauchte ich das letzte Zigarillo im stehenden Wagen bei laufendem Motor (5 Grad Minus daußen), lobte Gott für die Schaffung der Genüsse in diesem Leben und schimpfte mit ihm, dass Kettenrauchen und Sucht das Genußrauchen vertrieb und zum dringend nötigen Schutz der Nichtraucher führte.
Dann ging ich in die Sitzung. Wie erhofft liebe Menschen, spannende Menschen, mit denen zu arbeiten eine Freude ist. Aber gesund leben die! Mein Gott, wie berückend und bedrückend gesund die leben! Biologisch angebaute Schnittchen auf guterzogenen Salatblättern, selbstgemachte Säfte, selbstgetrockneter Tee mit soviel Sorten wie nur St. Gallen sie im Klostergarten hat.
  Die Sitzung dauerte an, es folgte eine zweite, dann fuhr ich wieder in die Zentren dieser Welt zurück und abermals dorthin. Dritte Sitzung, vierte Sitzung. Klugerweise habe ich ein Hotelzimmer genommen in der "Ackerbürgerei". Von wegen der Fleischgerichte auf der Karte und wegen Wernesgrüner Bieren und außerdem einem Garten, in dem Wirt und Wirtin mir einen Aschenbecher hinstellten. Ansonsten heroischer Verzicht und mutiges "Ja" zu diesen sympathischen Gesundheitsaposteln.
Bis zur letzten Sitzung: Wieder die lieben Menschen, die gesunden Schnittchen und Säfte und noch gesündere Tagesordnungspunkte (wie wird die Gesellschaft entschleunigt, gesünder?). Da - da machte ich eine Bemerkung über den Genuß von Mondschein, Peenestrom-Strand und einer guten Zigarre, den ich einmal nachts am Ufer im Auto hatte - und behauptete, dass auch dies (m)ein Selbstbehandlungsbeitrag Beitrag zur Entschleunigung und (mindestens seelischen) Gesundheit sein könne.
"Können Sie auch bei uns," hieß es und nach der Arbeit saßen Johannes, Klaus und ich da, Havanna rauchend und Whiskey trinkend, die bis dahin meinetwegen sitzungslang verzichtet hatten. Weil sie mich für einen Gesundheitsapostel hielten. Seitdem genießen wir gemeinsam. Und die beiden Christines und Lara ließen uns großmütig und Beata rückte dem Rauch so nah wie sie konnte. "Kindheit" sagte sie träumerisch und summte "oh - mein Papa…"



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
11. März 2008