Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten

     

Am Tag vor Himmelfahrt las der Untererzengel Gabriel der Kleine bei der Durchsicht irdischer Zeitungen etwas, was ihm den Atem bedrohlich lange verschlug, den auch Engel in ihrem ewigen Leben brauchen. Er schlug, wie im Krisenmanagement vorgesehen, Alarm bei seinem Chef, dem Erzengel Gabriel dem Großen. Der Untererzengel Gabriel der Kleine war nämlich innerhalb der allgemeinenkosmischen Presseschau, für die der Erzengel zuständig war, zuständigspeziell für die Auswertung irdischer Zeitungen, genauer: deutscher Zeitungen, norddeutscher Zeitungen. Ganz präzise: der Zeitungen der Ostheide.
Was Gabriel der Kleine an wunderlicher Zeitungsmeldung Gabriel dem Großen meldete, ließ diesen einen Sondertermin bei wiederum seinem Chef erbitten. Krise.Gottes Vorzimmer gab ihm den Termin und Gottvater ließ sich briefen, wo die Ostheide läge und was es dort gäbe. Ein Fast- Atemstillstand bei einem wenn auch untergeordneten Mitglied himmlischer Heerscharen mußte einen schwerwiegenden Grund haben.

„Die Menschen vertragen kein gutes Wetter mehr“, berichtete Gabriel der Große dem Chef, was er von Gabriel dem Kleinen wußte. „Die Uelzener Polizei ließ in der Zeitung melden, dass sie Sorge zu Himmelfahrt habe, weil gutes Wetter angesagt sei. Sogar Traumwetter. Bei solchem Wetter vergäßen die Männer dann nicht nur Christi Himmelfahrt, daran sei man ja schon lange gewöhnt. Gottvater nickte gelassen bei
 

dieser Nebenbemerkung, weil auch er manchmal Christi Himmelfahrt vergaß. Etwa so, wie glückliche Paare auf Erden ihren Hochzeitstag vergaßen, weil sie ja glücklich waren und keine kalendarisch vorgegebene Erinnerung an das Glück brauchten. Genau so wie er mit seinem nun ständig anwesenden Filius glücklich war.
Nein, das aktuelle Problem war nicht, dass die Männer unten Himmelfahrt vergaßen. Vielmehr vergäßen sich selbst. Sie feierten am Vatertag ihre Vaterschaft oder auch  nur die biologische Möglichkeit dazu – und saufen bis sie besoffen bis zum Anschlag seien und dann zu schlagen beginnen: Mit Worten, mit Fäusten, mit Flaschen. Gutes Wetter bedeute mehr Schlägereien, mehr Alkoholunfälle im Verkehr, noch mehr „soziale Ausfälle“ in Familie, in Kneipen und gegen sie selbst, die Polizei. Noch mehr Polizisten würden angepöbelt, beleidigt, angegriffen.
Gottvater nickte voll Mitgefühl. Er verstand selbst viel vom Angepöbeltwerden. Was tun? Schlechtes Wetter schicken? Auch prophylaktisch zu dem sich nahenden Pfingsten?Alkohol sei immeran Festtagen im unseligen Spiel.
Gott überlegte und erinnerte sich, dass schon mal, Anfang 19. Jahrhundert, die dritten Festtage von Weihnachten, Ostern und Pfingsten abgeschafft wurden wegen Hurerei und Völlerei. Nur J.S. Bach`s Kantaten zu diesen 3. Feiertagen hatten überlebt.

„O Gott,“ sagte Gott dann. “Soll ich noch einen Feiertag abschaffen?“



Den Autor erreichen Sie unter:

Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
10. Mai 2016