Von Schätzen und Einschätzen

     

Natürlich ist auch er ein Schatz, ein großer. Das sind Enkel allermeistens. Sonst würden sie nicht den allergrößten, mir oft viel zu großen Teil der Gesprächszeit von derjenigen Generation ausmachen, die Großeltern sind. Soweit zu Schätzen. Jetzt zum Einschätzen.
Der Enkel fragt den frühstückenden Großvater vorsichtig durch den Spalt der Tür zum großen Raum, „ob es ein Problem wäre, wenn er die Eisenbahn aufbaut“. Der Schatz ist nicht oft da, also Nicken. Ich denke dabei an die kleinen Kunststoff-Gleise mit den Lego-Steinen nebenan im Kinderzimmer und die zahlreichen Lokomotiven, Waggons, die ich daraus schon produziert sah und die nach dem Sein als Lokomotive Roboter oder Ritter werden können. Schwer einschätzbar.
Zwei Minuten später ist der Raum (10 x 10 m) zwischen Klavier und Sitzecke mit einem Führerhaus voll, das größer ist als die Kinder es sind. Davor der Maschinenraum mit 3 m Länge, alles in Schwarz und Rot. In demselben Tempo aufgebaut, wie es diese Pop-Ups am Strand sind, die man mit der Hand auswirft, und dann sind sie richtige Zelte.

Eine Fehleinschätzung und in Folge davon ein unruhiges Frühstück wegen der nötigen Proviantbeschaffung für Reise, Aufteilung der Abteile für Kuscheltiere, ausreichend zierliche  Großmütter. Zugpersonal u.a.
 

Oder: Ich frage den Vater des Schatzes, ob er mir RBB einstellt, den Sender, dessen Film ich abends speichern will. Aber gerne…Ich will einschätzen, frage, wie lange dies dauern mag. Zwei Minuten. Höchstens. Zwei Minuten später habe ich nicht RBB zusätzlich zu den vertrauten Sendern, sondern eine Kurzeinführung, wie ich die regionalen Sender von Orenburg in Russland, den Uni- Sender von Schanghai erreichen kann, außerdem Radio im Fernseher hören könnte, wenn ich wollte…Fehleinschätzung. Außerdem will ich nicht.  
Oder: Ich beteilige mich an einer Diskussion über Autos in 30 Jahren. Benzin oder doch Strom? Ich muss hinzulernen, dass es dann nicht einmal mehr diese Frage gibt. Ich trau mich nicht mal mehr, einzuschätzen, ob ich dann nicht längst gestorben sein könnte. Ich schätze nur noch fehl ein.

Zurück zum Schatz in der hausfüllenden Eisenbahn. Statt der zweiten Brötchenhälfte fällt mir die „Schwäb`sche Eisenbahn“ ein und ich gehe zum Klavier, spiele. Moderato anfahren, Andante aus dem Bahnhof, Presto durch die flache Heide. Begeisterte Schätze, die im Führerhaus Steuer herumreißen, die es in der Bahn nicht gibt. Aber: Das Fehleingeschätzte passt hervorragend zur tatsächlichen Realität. Sowas sagte doch schon Heisenberg. Und nicht lange her Mr. Stephen Hawking.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
10. April 2018