Redner-Hörer

     

Da sind sie wieder, Menschen in einem Saal, mit einem Thema. Denken wir an eine Konferenz, eine Tagung oder im größeren Stil einen Kongreß. Hörende wie Redner bringen außer Interesse oder dem Manusskript für das Thema vor allem sich selbst mit. Vor allem anderen. Redner wie Hörer.
Redner unterteilen sich in mindestens vier Gruppen: Die, die das Rad neu erfunden haben und ihr Glück der Entdeckung mit anderen zu teilen hoffen. Die, die tatsächlich Neues bieten, aber fürchten, dass alle anderen Redner das Neue auch und viel besser bieten. Und die, die in Familie und Firma keinen Satz ungestört zuende kriegen und die auf einem Auswärtstreffen endlich mal zuende reden wollen. Unabhängig vom Thema. Zuletzt die, die sicher sind, zu versagen, weil andere grundsätzlich schlauer sind (die längstanhaltende Kinderkrankheit). Aus der letzten Redner-Gruppe stammen übrigens die meisten Erkenntnisfortschritte.

Hörer auf solchen Treffen sind immer besonders interessiert. Egal, welcher Gruppe sie zugehören. Die kleinste ist die, die sich für das Thema interessiert. Die nächstgrößere ist die, die weder bei Bekannten eingeladen noch Inhaber von Karten für Presse – oder Opernbällen sind und sich in Sehnsucht nach gebildeter Gesellschaft verzehrt. Egal welcher. Diese Gruppe hofft auf die Pausen, auf Gespräche mit denen, die ihre Sehnsucht nach gebildeten Menschen teilen.
 

Die  nächstgrößere Gruppe ist die, die auf die Diskussionen am Saalmikrophon lauern, also Redefreudige, die aber nicht eingeladen sind, weil sie nicht so redefähig sind. Solche sind nach den Vorträgen diejenigen, die entweder dem offiziell Vortragenden am meisten Begeisterung zeigen und Dank sagen, weil Redner dasselbe dachte und sagte wie man selbst. Oder die ganz gegenteiliger Meinung sind und Zeit brauchen, ihr Kopfschütteln in Worte umzusetzen.
Die gefährlichste Gruppe sind die, die ihre Reden, Referate und Vorträge entweder hinter sich haben – oder noch vor sich. Denn Redner sind natürliche Feinde der anderen Redner. Was in der freien Wildnis die Wettjagd nach Beute ist, ist auf einem Kongreß der Kampf um die Länge des Beifalls, die Häufigkeit des Nickens, Lachens oder gar Zwischenbeifalls der Hörenden, die Häufigkeit , der Mitschreibenden oder die Länge der andächtigen Stille, in der der Fall von Nadelspitzen die Andacht und Ehrfurcht vor dem Gesagten stört.
Je besser übrigens ein Redner ist - desto sicherer kann er schwarz werden, bevor er ein anerkennendes Lächeln eines anderen Redners sieht oder ein Schulterklopfen fühlt. Semiprofessionelle Redner meiden daher Kollegialkontakte, weil diese nur frustrieren. Professionelle Redner reden ohne jede Erwartungshaltung gegenüber positivem Feedback.
Ausnahme, in der jeder Redner von anderen Lob erhält: Wenn man in der eigenen Rede die anderen zitiert. Positiv natürlich.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
10. März 2009