Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
Von Steuerberatern und Leuchttürmen

Er erinnert mich oft an meine Mutter, mein Steuerberater. Obwohl er mit seinen geschätzt 1,90 strahlend blauen Augen wie ein Leuchtturm in Aktion wirkt und meine Mutter nur 162 lang war und eher an den alten Fritz erinnerte. Sie erinnerte mich an ihn, weil sie Menschen, die über ihren elend hohen Steuersatz wehklagten, meist die Hand hinhielt, "Gratuliere!" sagte und trocken hinzufügte, wer soviel Steuern zahle, der müsse richtig viel Geld verdienen…
Mein Steuerberater ist am vorletzten Tag des verendenden Jahres umgezogen und hat dies gefeiert. Mit 250 (!) Gästen von 11 Uhr bis in den Abend. Und mit jeder Menge Leuchttürmen, die er sammelt. Leuchttürme stehen auf seinen Tischen, kleben an den funkelnageneuen Wänden, hängen unter Decken. Glaube ich jedenfalls, denn eingeladen war ich, leider aber krank. Sicher aber ist: Leuchttürme wirken schon lange im Kopf meines Steuerberaters, wirken von den Tapeten auf seine Frauen und seinen zweiten Mann.
Dreierlei beweist dieser Umzug mit Menschen, Steuerakten, Leuchttürmen und Gästen. Erstens: Mein Steuerberater und seine Leute sind beliebt und zwar bei vielen, die er in Sachen Steuern steuert. Es sollen sogar Finanzbeamte dagewesen sein, die seiner Steuerung ebenso trauen wie seine Mandanten.
Zweitens: Der Mann versteht was von Chancen inmitten der Krisen. Und Krisen sind immer Übergänge von einer Zeit zu einer gewiß neuen Zeit. Mein Steuermann zog am vorletzten Tag eines Jahres um, das noch als deprimierend schlechtes Wirtschaftsjammerjahr galt. Und nur Leute wie er, die den Leuchtturmblick um und in sich pflegen, können über das Alte und Bestehende und

Deprimierende (2005) hinausgucken in die Weite (2006). Und deshalb riskiert er, investiert er, erweitert sich mit seinen vier Frauen, und seinem zweiten Mann (arbeitsmäßig gemeint, nicht fortpflanzungstechnisch). Wo wir alle anderen am Armutswahn kranken, Sparstrümpfe stricken und jede Erweiterung durch Nachwuchs krampfhaft vermeiden. Im Unglück bereits das Glück erwarten - das kann er, mein Steuer-Mann.
Drittens: Mein Steuerberater hat nicht nur einen Namen, der wie ein Geschenk wirkt. Er schenkt seinen Kunden tatsächlich Geld, indem er sie auf mancherlei Trotteligkeit hinweist. Mich jedenfalls. Z.B. dass der Staat versäumte, mir seit zwei Jahren Kindergeld zu zahlen. Bei meinem Mann sind wir nicht einfach Kunden, sondern wirklich Mandanten, was von "mandare" (lat.= vertrauen) kommt.
Mein schenkender Steuerberater und sein zweiter Mann, dem es dort auch wie auf Rosenfeldern gebettet geht, vermitteln aber nicht nur ihren Kunden Geld. Auch dem Finanzamt. Indem er uns, seine Mandanten dahingehend steuert, dass wir auch dort Steuern zahlen müssen, wo es uns gänzlich unglaublich erscheint. Z.B. als Tante Ulrike - requiescat in pace! (das bedeutet - für lutherische Nichtlateiner - Tante Ulrike lebt nicht mehr) uns ihr Häuschen überraschend vererbte. Da mußte ich draufzahlen. An die Freunde meines Mannes im Finanzamt. Gute Berater wie er erinnern mich eben immer an meine Mutter. Die auch im Unglück oft bereits die Chance sah. Und mit strahlend blauen Augen dazu gratulierte. In diesem Sinne: Gratulieren wir uns zum bestandenen Umzug. In das neue Jahr.

(10. Januar 2006)

Den Autor erreichen Sie unter: Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de