Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
Ganz neuer Wählertyp

Wählen wir also. Folgen wir dem Kanzler, folgen wir dem Präsidenten und wählen. Hoffentlich folgt uns das Verfassungsgericht, so dass wir nicht umsonst wählen. Gründlich vorbereitet wählen, abwägend wählen, sorgsam wählen - ermahnt uns der Präsident.
Diesmal wählen wir nach einem selten gewordenen Kriterium. Normalerweise wählen wir oft eine Regierung, "in die wir unser Vertrauen setzen". Ach ja, lang ists her. Aber Vertrauen, das wir in ein Programm und seine Leute setzen, ist diesmal lange nicht so wichtig, wie die Umkehrung: Wir müssen diesmal eine Regierung wählen, die Vertrauen in uns setzt, uns vertraut, den Wählern. Und nicht wie unser jetziger Kanzler wieder nagende Zweifel an dem Vertrauen entwickelt, das wir in sie setzen. Sonst wirft auch die neue Regierung Handtücher auf den Boden, Flinten in die Politfelder.
Unser Kanzler ist sich unser nicht mehr gewiß gewesen, vertraute uns nicht mehr. Zumindest denen, die uns bei ihm in Berlin vertreten. Deshalb das Wegwerfen und die Neuwahl.
Die neue Wahl und ihr Ergebnis im September ist jedoch erst der kleinste mühsame Anfangsschritt: Wir werden uns bewähren müssen als treue Wähler durch die Legislaturperiode hindurch.

Wir müssen uns als vertrauenswürdig erweisen, indem wir fleißiger feedback geben: Im Politbarometer nicht noch schlimmer schwanken als in der Börse. Wir müssen dauerhafter die Bitte an die Regierung äußern: Vertraut uns weiter. Wir verdienen es. Werft die Flinten ja nicht so schnell weg wie Eure Vorgänger, um sie damit Leuten ohne Waffenschein zu überlassen. Wie können wir Euch, denen, die wir wählen, denn nur besser zeigen, dass wir vertrauenswürdig sind? Periodische Demos aller Bevölkerungsgruppen vor dem Kanzleramt mit positiven feedbacks? Kettenbriefe, Ketten-e-mails?
Bei Hofe nannte man so was "Huldigungen". Bei niedereren als den hohen Tieren heißt es schlichter "Loben". Lobten wir die alte Regierung zu wenig? Sollten wir mehr huldigen? Was dann die Huld der Regierung uns gegenüber zur Folge haben würde und wir wären bestätigt in unserer Verlässlichkeit.
Eine ganz neue Charaktereigenschaft wird von uns erwartet. Wählen wir also "sorg-sam" abwägend. In dem Wort "sorgsam" steckt die Sorge, ob wir es nach der Wahl dann schaffen: Die Regierung davon zu überzeugen, dass sie uns verdient. Weg wäre sie dann: Die Politikverdrossenheit. Und die Wähler, die nicht wählen gehen. Alle wär`n sie wieder da…wie in guten alten Zeiten, als es reuig hieß: "Wir wolln unsern alten Kaiser Wilhelm wiederham…"

(09.August 2005)