Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
Ausziehen zum Umziehen

Ich mache Urlaub in Bayern und hier begreife ich, was ich zuhause bei aller Liebe vermisse: Die Bayern ziehen sich noch festlich um, wenn sie ausziehen. In ein gutes Restaurant ausziehen. Oder sich umziehen, um sich festlich anzuziehen, wenn es für einen Umzug ist. Nur die Schützen machen sich bei uns noch die Mühe. Und die Feuerwehr. Aber das sind Uniformträger und Uniformen haben die Auflage, nichts dran zu ändern. Sonst wär`s ja keine mehr. In Bayern haben sie aber reichlich und überall, was wir nur im Museum haben: Trachten!
Ein bewusst lebender bayerischer Mensch zieht sich sogar für den normalen Sonntag um, für den Kirch - und zugehörigen Biergartengang. Welch religionsverführerischer Unterschied zu unseren evangelischen Kirchenkaffees und Saftparties! Private Bayern und offizielle Bayern, Bürgermeister, Landräte, die Handwerker und Kopfwerker wie Lehrer - die meisten ziehen sich aus, um sich umzuziehen, weil es festlich zugehen soll.
Ich hab mir einen Trachtenumzug hier am Ammersee angesehen und bin neidisch. Noch nach zwei Stunden waren die Augen nicht satt von den Farben und den Gestalten, die Ohren dafür fast taub von der Blasmusik bzw. der Häufung der Pauken und Trommeln, die mit bayerischer Power bedient wurden.
Fast alle machen sie in so einem ordentlichen bayerischen Ort mit - und zwar in Tracht.
Ich stelle mir das Ganze bei uns zuhause vor: Der amtierende Uelzener Bürgermeister Otto Lukat nicht nur in der einsamen Amtskette, sondern im prächtigen heimatlichen "Vorstehergewand" und mit Silber-Schmuck beladen - je nach seiner Beliebtheit bei den Vereinen…Oder Propst von Nordheim, zwar nur im Talar, nichtmal Halskrause wie die hanseatischen Amtsbrüder und -schwestern, aber volksnah die katholischen Trachtengruppen aus Soltau-Fallingbostel begrüßend (so wie der Priester hier die Evangelischen und andere Ausländer begrüßte).


Landrat Dr. Elster in schmucker Landvogtstracht mit Kniehosen und vom Weibe in Liebe bunt bestickten Unterwadenschonern. Und alle Männer mit eng anliegenden Hosen incl. "Sackhalter". Dann die Frauenpersönlichkeiten hier in Bayern! Da marschieren die Mütter und weiß-grau-buntgefärbthaarigen Großmütter mit ihren Enkelinnen an der Hand ihren vitalen Rhythmus und werfen Kusshände. Ich stelle sie mir zuhause vor: Die Lange-Brachmann mit silbern-ziselierter Busenbrosche, die Schmäschke mit seidenen Haubenbändern. Sie alle mit den samtenen Kropfbändern am Hals. Dann die Pastorsfrauen (so was hätten nur wir, die Bayern nicht!) auf einem Festwagen um Ernst den Bekenner geschart (hier in Bayern wars der zweite Ludwig). Sie wären doch mal echt staatstragende Frauenpersönlichkeiten! So in all den Leibchen, Blusen und wippenden weiten Röcken, die manche üppige 70 jährige lustvoller und erregender schwingt als ihre noch übende Enkelin.
Was ist das für ein karges Einerlei, mit dem wir uns im Norden alltags wie festtags begnügen. Teenager-Einerlei, Thirty-ager-Einerlei, Oldies-Einerlei! Variationen höchstens zwischen Jeans mit oder ohne Löcher oder zwischen T-Shirts oder Polo-Shirts. Kein weißes Hemd mehr.
Wir hatten all das mal. Zu bewundern im Bomann-Museum in Celle. Trachten Celler Land, Lüchower Land, Hitzacker-Land, Uelzen. Nur unsere Kreisuelzener Klosterdamen bieten da was. Und die Vertriebenenverbände. Aber meist in geschlossenen Räumen.
Es fehlt mir so: Ein Festgewand. Als passives Mitglied der Allenbosteler Feuerwehr könnte ich höchstens Uniform beantragen, aber keine Tracht. Vielleicht aber beerbe ich Onkel Martin in Lüneburg, der zwei Trachtenanzüge in gemäßigter Auffälligkeit besitzt. Und auch sonntags trägt.


(08. August 2006)

Den Autor erreichen Sie unter: Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de