Achtung: Privatweg!

     
Sie gehören mir, diese Wege um meine Wohnung herum. Jedenfalls gehören sie zu mir. Derart oft wandere oder radfahre ich sie. Raus aus dem Ort bei Jürgen Schulz vorbei Richtung Brüggemann`sche Weide, auf der mal seine Schafe, mal die Isländer weiden. Oder nach Bode über den von Bremers gehätschelten Weg über den Graben, früherer Zwangsweg in die Allenbosteler Schule.
Auch in die große weite Welt zur BAB und zum Flughafen nach Hannover bevorzuge ich die Autofahrt über meinen Weg raus aus dem Dorf - auf die Kreisstraße, gleich wieder nach Bode rein und durch. Weiter auf meinem Lieblingsweg mit jeweils letztem Blick über die Weiden zum eigenen Haus rüber, vorbei an Schefflers Hof und Frau Buhrs Buchstabenwerkstatt Richtung Brockhöfe, Soltau, BAB…die große weite Stuyvesant-Welt. Dadadada-dada…
Von meinem Weg weiche ich nicht ab.
Bis heute.
Da steht zwischen den Dörfern plötzlich ein Schild: Durchfahrt verboten! Aus heiterem Himmel steht es da und dahinter ein Getüm von Traktor mit Mensch im Blaumann davor.
Ich steige aus im souveränen Gefühl dessen, dem Ungerechtigkeit widerfährt: Stopschild auf einem meiner Wege und ich weiß nichts davon. Ich sage dem schwarzhaarigen Blaumann, dass so ein Schild - wenn es denn überhaupt amtlich sei - am Anfang eines Weges stehen müsse. Wenn nicht gar in der Zeitung anzukündigen sei.
  Da sagt der Schwarzblaumann neben seinem Traktor ebenso ruhig wie bestimmt und freundlich, den Satz, der all meinen inneren Worten am entferntesten liegt: "Dies ist kein öffentlicher Weg - dies ist ein Privatweg!"
So eine Eröffnung, im gelassenen Ton des Fürsten, des Privatbesitzers gesagt, ist so etwas wie eine Enteignung von etwas. Enteignung von nie Besessenem.
Die Begriffe Wohnung und Gewohnheit sind verwandt. Zu den Wohnungen des Menschen gehören die Wege hin zu seiner Wohnung. Und eben auch weg von ihr, was das Besitzergefühl manchmal noch mehr ausprägt, weil sich durch Entfernung von der Wohnung das Bewusstsein von ihr steigert. Ohne die Gewohnheiten, die die eigene Wohnung kennzeichnet, wäre sie nicht unsere Wohnung. In der weiß ich (wenn die drei Frauen weg sind) jeden Gegenstand an seinem Platz, jede Reserveglühbirne, die Zahnbürste, Schreibstift und das Bett. Mit der Ordnung und Gewohnheit eigener Wohnung zwinge ich das sonstige Chaos. Weshalb das Gesetz manchmal aus Gewohnheit sogar Gewohnheitsrecht macht.
Aber Gewohnheitsrecht macht noch kein Besitzrecht. Und so zog ich einen seelischen Hut vor dem freundlichen Privatwegbesitzer, dankte dafür, dass er sogar seinen Traktor ein bisschen an den Rand fuhr, um mich durchzulassen. In die große weite Welt weg von meiner Wohnung. Und die Wege dahin, die mir zwar nicht gehören. Aber die zu mir gehören.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
08. Mai 2007