Ach, Herr Schäuble…

     

„Gott, habt Ihr in Eure Parlamente do – do –manche Haufen…!“, sagte Martina, eine Schweizer Freundin zu uns- Anfänglich spricht sie immer rücksichtsvoll Hochdeutsch versuchend.  Nebenberuflich ist sie Gemeindepräsidentin. Sie vermied, weil sie Schweizerin ist, das dranzuhängen, was sie meinte. Ich sprach meine Befürchtung aus. „Haufen? Haufen Rüpel? Unerzogenes Pack – sowas?“
Sie nickte. Meinte nicht die Parteiprogramme, nicht deren harte Gegensätze. Sie meinte nur „Benehmen“. Minimales Benehmen. Und dann erinnerte sie sich und mich an die erste Rede Schäubles als neuer Parlamentspräsident.
„Ich ha die Red mitgschnitte ond nachgezählt: I eim einzige Sitzblock hend 41 vo euche Abgordnete mit eme Tablet oder eme Smartphone gspelt. Keine hed ihm zuegehört. Ond sogar d‘ Kanzlerin – sini Partei – is nebe ihm im Handy versunke. Ja,sowas a! Das send doch einglVorbelder, wo so oft reded ond zuhöretmüsset  ond das doch öffentlech!“
Ich suchte ein Mauseloch und fand keins. Obwohl es in der Schweiz doch so viele Tunnel gibt und ich gar kein Abgeordneter bin.

„Wir tün ünsre Kinder erziehe, dass sie höre, was wir ihne sage. Selbscht wenn‘s ned angnehm isch. Ond im Parlamänt bemühed wir üs oms gliche: Oms Zuehöre au dann – wo e ganz andere Meining gäußeret werd. Grad dan!“
 

Gott hat sie recht! Die derzeit inflationär strapazierten Wörter wie „Respekt“ und „Anstand“ im Umgang miteinander (auch Schäuble mahnte sie an) werden an den Orten strapaziert, wo das, was sie meinen, am wenigsten geschieht: in unseren Parlamenten, allen voran in dem neuen Bundestag.
Da sitzen sie, die sich kürzlich noch „in die Fresse hauen“ als Absicht formulierten. Oder sich als Jäger von Politikern aufstellten, statt selbst Politiker zu sein – da sitzen sie und bauen mit ihren digitalen Spielzeugen Brücken nach außen statt zu dem Redner da vorne. So wie früher Zeitung im Plenarsaal gelesen wurde, wenn nicht nur der Gegner sprach…
Kann man sie nacherziehen da in Berlin? So wie große Firmen wie IBM und Boeing dies mit Auszubildenden tun, deren Elternhaus kein Vorbild in Sachen Umgang miteinander gab?

Ich denke an langweilige Kongressvorträge oder Predigten in Kirchen, in denen ich so gerne nach dem Smartphone gegriffen hätte, um innerlich abzuhauen. Warum bin ich nicht einfach so wie die, die ich wählte? Wegen Martina, der Gemeindepräsidentin, die auch im Nationalrat saß. Und im Bundesrat. Und sich um Respekt und Anstand bemüht – „gerad wenns net angnehm isch“.



Den Autor erreichen Sie unter:

Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
07. November 2017