Das A und O der Werbung

     

Zitieren will gelernt sein. Richtiger: Wollte mal gelernt sein. Heute ist das Affentempo der Texter in Werbeagenturen, die über geistreichen Sprüchen für ihre Kunden brüten, derart rasant, daß die Texter nicht mehr Eigenes ausbrüten, sondern - eben in Zitate flüchten. Und wunderbaren Unsinn gebären. Ich sammele Unsinn.

Auf einem Plakat, mit dem eine private Eisenbahngesellschaft für Wochenendfahrten ins Grüne wirbt und für Analphabeten gleich eine Blumenwiesenlandschaft a la Weserbergland zeigt, lese ich: „Zurück zur Natur! Meint Ihre…“ und darunter dann das Logo der Bahn. Das volle Zitat hieß: „Zurück zur Natur; Der Mensch wird frei geboren, und überall ist er in Banden“ , stammt von dem Schweizer Jean Jacques Rousseau (1712-1778) und sollte die Entstehung der modernen Demokratien unterstützen.

Oder: Ein Reiseunternehmen wirbt bei anspruchsvollsten Gourmets für ein französisches hochalpines Hotel mit sternen-übersätem Chefkoch und druckt auf die Plakate: Leben Sie bei uns wie Gott in Frankreich – wir kochen das Höchste für Sie!“.

Es ist nicht das Höchste, was dort gekocht wird. Das Originalzitat (Maximilian I., verblichen 1519) meinte Anderes. Der Kaiser soll im vertraulichen Ministergespräch einmal gesagt haben: „Wenn es möglich wäre, daß ich zwei Söhne hätte (die hatte er nicht) – dann wäre der erste Sohn Gott selbst – und der zweite wäre Gott in Frankreich.“

Man warb also für die zweite Wahl.

Oder: Der Bürgermeister einer aussterbenden deutschen Stadt (leider nicht Uelzen, sondern südlicher) wirbt für mehr Geburten in seiner Kommune, indem er via Plakat an junge Paare appelliert: „Ihr Kinderlein kommet…“

 

und darunter steht klein, daß die Stadt den Eltern jedes Neugeborenen ein sattes Willkommensgeld schenkt und zinslose Darlehen anbietet. Na ja, der Mann wird schon wissen, daß dies ein Weihnachtslied ist. Aber die Eltern? Jedenfalls ist es die Stadt mit der höchsten Geburtenrate derzeit.

Umgekehrt kenne ich einen Weinvertrieb, der sich jetzt auf Weihnachten vorbereitet und auf die Etiketten drucken läßt: „O Tannenbaum, O Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter“. Das ist kein Weihnachtslied, sondern eine Einlage aus dem längst vergangenen Lustspiel eines Herrn Schneider und entsprang noch früher einem Lied aus dem 16.Jahrhundert, das von einem Stallknecht handelte.

Und dann kenne ich einen Elektronikkonzern, der seine supersparsamen Glühbirnen, die eben weniger glühen, sogar mit korrektem Absender bewirbt: „Macht Licht!“ steht groß auf der Werbung und darunter (ganz richtig): Goethe.

Nur: Die Gelehrten streiten sich um dieses Wort, denn die einen wollen, daß Goethe die beiden Worte unmittelbar vor dem Eintritt seines Todes ausgerufen haben soll. Die anderen wollen den Ruf tatsächlich auf die Öffnung eines zweiten Fensterladens bezogen wissen, also tatsächlich: Mehr Licht!

Der Titel der Kolumne heute ist übrigens gewagt, früher wäre er nahe der Ketzerei. Wissen Sie`s? Entsprechend dem ersten und letzten Buchstaben des griechischen Alphabets (Alpha und Omega) legt die Offenbarung Johannis Jesus Christus den Satz in den Mund: „Ich bin das A und O“.

Das sehe ich natürlich nicht als Unsinn. Aber manches wird dazu in der Werbung, wie eben das „Ich bin das A und O“. Ich traf das Zitat als Werbung für eine Firma, die Nachhilfeunterricht anbietet…Leider nicht für Werbetexter.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
07. September 2010