Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
EU-Pflaume

Bisher bestimmte ich meine Speisen- und vor allem die Getränkekarte bei Sommerreisen selbst. Beim ersten Speisen in Ungarn freue ich mich auf die Pflaume im Pflaumenschnaps, im Slivovitz. Dort ruht sie auf dem Glasboden und prägt die Herrlichkeit über sich mit ihrem Geschmack. Ein wahrer Edel-Digestif. Jetzt ist aus mit der Freude. Ich werde fremdbestimmt."Leider - Pflaume nicht mehr geht, der Herr", sagt der Ober. Auch wir kennen uns seit Jahren und er meinen Geschmack. Er zuckt tieftraurig mit den Schultern, als er meinen enttäuschten Blick sieht. Denn er servierte das Gläschen Pflaumenschnaps ohne Pflaume. "Keine Pflaume mehr - zu wenig frisch, sagt EU". Womit der Edelcharakter eines Digestifs abrutscht zum einfachen Schnaps. Und das Ritual des Genießens wird degradiert zum Trinken. Ab jetzt also regiert die EU meinen Getränke- und Speiseplan.Dasselbe einige Tage später bei Heiner am Bodensee. Heiner ist Obstbaumeister und seine Andrea gab mir früher eine Flasche alleredelsten Williams aus Heiners Birnen mit -mit einer ganzen Frucht auf dem Glasboden. Nichts geht mehr. Zwar stoppte Heiner nicht derart sofort seine Birne in der Flasche wie die Ungarn ihre Pflaumen - aber Ungarn ist neu in der EU und die sind naturgemäß anfangs gehorsamer als wir.Es ist klar, wie es weiter geht: Die EU wird in Kürze denjenigen unserer

Heide-Imker die Honigproduktion verbieten,die noch Pfeife bei der Arbeit rauchen - wegen der Möglichkeit, daß Nikotin sich über die Bienen in den Honig überträgt. Die EU wird die Zubereitung unserer geliebten Hochzeitssuppen rundum auf den Dörfern nur dort genehmigen, wo die Eier garantiert Freiherrn - und Freifraurang mit entsprechendem Freilaufpark um sich haben. Die EU wird unserer UELZENA-Milch einen Neubau weitab der Zuckerfabrik aufzwingen, weil die olfaktorischen Ausdünstungen der Rüben (zu deutsch: ihr Gestank) nur Menschen in Uelzen zuzumuten ist. Nicht aber einer Milchproduktion, die weit außerhalb der Ostheide verkauft wird und Botschafterrang hat. Auch unsere Ebstorfer Wurstwaren, Celler Ratzeputz -ach, die Liste meiner begründeten Befürchtungen ist lang - werden radikal EU-umgesteuert und nicht mehr das, was sie mal waren.Die Folge ist eine fortschreitende Kriminalisierung. Denn jetzt schon wird heimlich gemacht, was von der EU verboten wird. Jedenfalls das Restaurant auf der Buda-Seite von Budapest hat mir - nur mir - zugesichert, die Pflaume weiter zu servieren, wenn ich mich damit in den Sozialraum des Personals setze und nicht in den offiziellen Gästeraum. Und mit Heiner muß ich noch reden. Wegen der Birne.

(07.September 2004)