Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
40 km/h

"Uhlenköper" schreibt auf S. 3 oben links oft über zu schnelle Autos, zu dichten Verkehr und deren Probleme. Ich schreibe heute über langsame Traktoren und deren wunderbare Auswirkungen auf Onkel Georg-Wilhelm. Die Langsamkeit von Traktoren nämlich, nie über (offiziell) 40 km/h schnell, sind der Grund, weswegen Onkel Georg-Wilhelm seit einiger Zeit die gesamte Verwandtschaft mit Gratulationen auf Postkarten versorgt. Mit immer hübschen kleinen Reimen a la Wilhelm Busch. Klar, dass jemand, der Georg-Wilhelm heißt und Niedersachse ist, Wilhelm Busch als zweite Bibel kennen- und noch auswendig lernte. Und Hermann Löns als dritte.
Der Zusammenhang zwischen der Langsamkeit von Traktoren und Onkel Georg-Wilhelms sich plötzlich häufender Gratulationspost ist dieser: Onkel Georg-Wilhelm greift, wenn er wieder mal hinter einem der 40 km/h geschwinden Traktoren klebt, zum Diktaphon im Handschuhfach. Telephon ist verboten, Diktaphon ja nicht. Mit dem diktiert er schnell seine Gratulation zum 60. seiner Schwester zwischen Ebstorf und der Abfahrt zum Pflegeheim, zur Geburt einer Großnichte hinter Melzingen, zum Staatsexamen seiner Patentochter auf der Höhe vom Hainberg und vor der Uelzener Stadtforst schafft er noch zwei gewöhnliche Geburtstage für Geschäftsfreunde. Sein Büro muß ihm die Liste der Adressaten für jeden Monat aktualisieren. Um Verstorbene und deren Trauernde, um Frischgeborenes und dessen Erzeuger. Früher zeterte und fluchte er bei jedem Traktor, hinter dem er mit seinem 8- Zylinder herschleichen

musste. Obwohl er es immer eilig hatte. Onkel Georg-Wilhelm war und ist nämlich nicht Rentner, sondern immer auf dem Weg von oder zum Uelzener Bahnhof und von dort zum Flughafen.
Früher bestand er aus Klage über die Rübenkampagne, über die Frühjahrsfeldbestellung, über die Erntefahrzeuge im Sommer und dann wieder über die Rübenfahrzeuge.Heute diktiert er. Aber nie Geschäftliches, mit Zahlen und so, nur was schnell geht, sich gut reimen lässt und von seinem Büro an die Adressatin geschickt wird. Mit grüner handschriftlicher Unterschrift, die seine Sekretärin inzwischen besser kann als er selbst.
Der Tip für diese verwandtschaftsfreundliche Freizeitbeschäftigung kam von seinem Coach, seinem Berater in Lebensfragen für Führungskräfte. Statt weiter Zeit hinter den Traktoren zu verplempern - da solle er doch was machen, was er sonst nie macht, aber immer schon oder erst später im Pensionsalter gerne machen würde.
"Gratulieren," hat Georg-Wilhelm geantwortet, "pünktlich gratulieren und alte Kontakte pflegen." Inzwischen ist er geil auf Traktoren und bei deren Sichtung greift seine Hand zum Diktaphon und sein Hirn vorfertigt erste Reime zum nächsten Anlaß.
Der Nachteil des Ganzen: Onkel Georg-Wilhelms Verwandtschaft kommt nicht zur Ruhe. Sie muß ihm nun selbst Karten schreiben. Zu Ostern, Pfingsten, Weihnachten und zum Geburtstag. Und bis Alexanders Onkel Georg-Wilhelm tot und die Geschwindigkeit für Traktoren nicht drastisch heraufgesetzt ist - so schreiben sie noch weiter.

(7. März 2006)

Den Autor erreichen Sie unter: Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de