Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
Vor dem Ball

Ich liebe Bälle," sagte Alexander, "besonders Standortbälle!" und die Augenbrauen seiner Zuhörer heben sich. Skeptisch.
"Bälle", doziert Alexander (er ist Lehrer durch und durch)"die Kultur der Bälle wird mangels Tänzern immer weniger und Hamburg z.B. ballt die übriggebliebenen Bällchen zu wenigen größeren Bällen zusammen. Die Säle von Atlantic, CCH und Vier Jahreszeiten werden umsatzträchtiger an private Empfänge vermietet. Der Tanzsaal wird zum Steh - oder Standsaal!" Alexander wechselt von der Klage ins Schwärmen: Das Gegenteil von solchem Standsaal ist unser Standortball, weil der eben steht. Wie ein Findling in der Ellendorfer Schnuckenherde.
Dies Jahr wird er wieder "richtig" gefeiert. Letztes Jahr falsch, nämlich in Uelzen wegen Standort-Umbau. So fehlten die beiden Pfiffe eines Standortballs. Standort und Uniformen. Letztere musste man suchen im Heuhaufen ziviler Textilien am Nicht-Standort…
Weswegen mag Alexander nun den Standortball? Er, eher Pazifist, liebt Uniformen, weil seine Frauen sie lieben, die angetraute Geliebte, die Töchter. Ist der heimlich, winzige Rest hohenzollern`scher-preußischer Sehnsüchte nach dem Menschen, der erst beim Soldaten beginnt, gar nicht so winzig und darf in der Vorfreude auf einen Standortball einmal weniger heimlich geäußert werden? Zumal die Blauen der Bundespolizei erleichternderweise keine preußische Militärideologie zur Schau tragen, keine militärischen Funktionstitel (ein Polizeidirektor lädt ein, kein Oberst, was er früher war). Der Bürger in Uniform wird zur Schau getragen.

Ist es also die nur noch harmlos-fröhliche Verführung des Uniformträgers, durch den ein Ball erst Standortball wird? Nach dem Lied:
"Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren,
öffnen die Mädchen die Fenster und die Türen,
ja warum, ja darum…
Nein, erstens kann Alexander die Uniformträger unserer Bundespolizei nur in ihren Mannschaftswagen fahren sehen, nie marschieren. Zweitens geht das Lied ja so weiter:
"Ei nur weg`n des Tschingdarassa,
Tschingdarassa , Bum…"
Diese Gastgeber sind noch welche: Sie mieten keine Bands, sie lassen Kameraden aufspielen und so einen kleinen Rest von Preußens Gloria, Karl Heinz Böhm und Romy Schneider und damit wehmütige Erinnerung an die Video-Kindheit der Kinder oder gar das Habsburger Familienkino in der eigenen Kindheit auferstehen. Die Gastgeber räumen die Hainberger Räume um , schmücken die Wände. Ihre Fahrbereitschaft dient nicht Gorleben- oder NPD-Fronteinsätzen, sondern dem Heimtransport fragmentiert blauer Gäste dieser blauen Engel der Bundespolizei. Die Köche hieven die Alltagsversorgung auf das Niveau von Festspeisen und die Garderoben werden zu Zivil- statt Uniformträgern. Nur - leider - wird keine Polonaise mehr getanzt. Zu ähnlich dem Marschieren?
Alexander liebt den Standortball. Wegen des Tschingdarassa- tschingdarassa-bum, das ihm über das Vegetativum in die Beine und die nötige Gehhilfe fährt und über die Erinnerungen in die Seele.

(07. Februar 2006)

Den Autor erreichen Sie unter: Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de