Wie still ist die Stille Nacht?

     

Wenn unsere fünf Sinne modischen Strömungen unterworfen wären, dann würde der letzte Schrei  in Kreisen, die mit Hören und Musik zu tun haben, heißen: Soundscaping (sound=Klang, scape=Umgebung). Wie viele letzte Schreie ist der ein alter Schrei: Bewusster erleben, wie die derzeitige Umgebung gerade klingt.  So gibt es inzwischen ganze pädagogische und therapeutische Richtungen, die uns die Welt von heute neu vermitteln. Über die Ohren.: Mit offenen oder geschlossenen Augen. Wie klingt meine Straße? Meine Dusche? Mein Arbeitsplatz? Das Schlafen der Kinder im Kinderzimmer?
Das alles fiel mir am Freitag vor dem 1. Advent auf dem Weihnachtsmarkt in Hindelang ein, den ich erst vermeiden wollte, weil sowas fünf Wochen vor Heiligabend alles kaputt macht. Aber Christine überzeugte mich: Wenn wir schon im Allgäu sind (für Nichtfans: da liegt Hindelang) – dann nehmen wir den Weihnachtsmarkt mit.

Der Weihnachtsmarkt verlangt Eintritt. 5,- Euro, die mich wenig wundern, weil gleich von zwei Seiten den Ohren Musik angeboten wird. In das rechte posaunt eine Life-Gruppe vom örtlichen Posaunenchor die Stille der Heiligen Nacht mit beachtlicher Besetzung, in das linke Ohr singt sich ein Knabenchor via Lautsprecher, der über einem Stand mit Krippen aufgehängt ist.
 

Zweimal Stille Nacht, Hl. Nacht. Krippen gibt es in Holz, selbstgeschnitzt von eigener Hand oder maschinell gestaltet in eigener Werkstatt. Maria und das Kind in bunt oder Fichte natur, mit oder ohne Josefs, aber immer mit dem Viehzeug im Hintergrund, welches das ganze Jahr über an Heiligabend erinnert: Rind, Stier, Ochse, Esel. Zwei Hausecken in Hindelang weiter besingen weitere Lieder aus noch mehr Lautsprechern und noch mehr Life-Gruppen, wie Weihnachten klingt: Kling Glöckchen, klingelingeling…Susanni, Susanni, Susanni… Nun jauchzet all ihr Frommen…Lustig, lustig, fallalalala…Freut euch mit großem Schalle…

Wie klang sie wohl, die erste Hl. Nacht? Wir sind ein paar Dörfer weiter von Hindelang auf Hemers Hof in Schöllang untergebracht, zusammen mit einem wohnlichen Langstall voller Milchkühe und ihren Kälbern sowie dem Enkel Lukas, 2 Jahre alt, der „Pfueti“ ruft (für Nichtbayern: „Sei behütet“) wie die Erwachsenen das „Grüß Gott“. Zusammen klingen sie alle wohl der allerersten Hl. Nacht ähnlicher als alle Weihnachtsmärkte zusammengenommen. Und wir sind die Fremden, nicht aus dem Morgenlande, sondern dem Norden, die sich heimatlich fühlen wo es eben bescheidener, aber dafür tiefer anklingt.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
06. Dezember 2016