Schwieger(ver)söhnliches

     

Lief sie nicht kürzlich noch in meinem Pullover herum, der ihr vom Hals bis zu den Füßen reichte, diese kleine Person? Das tat sie dann, wenn der Vater verreiste und eine Stellvertretung brauchte, einen  Ersatz. Den Pulli. Reiste sie nicht noch kürzlich mit mir auf Kongresse und Symposion, die etwas größer gewordene kleine Person – und verunsicherte manche KollegInnen, die sie für eine viel zu jung geratene zweite Ehefrau und Nachfolgerin von Christine hielten, die jedoch ihre Mutter ist?
Stellte sie mir diesen fremden Menschen nicht gerade – gefühlt – vorgestern vor und merkte an, diesen Fremden solle ich mir merken. Und zwar lebenslang, weil sie ihm ein „Ja“ auf eine gewisse Frage gegeben habe?
Dieser Fremde ist nun seit drei Tagen erster Schwiegersohn im Hause und trainiert  uns beiden Eltern, indem er die Treppe heraufstürmt und und fragt: „Wisst Ihr, wo meine Frau ist?“
Und sie, die Tochter übt mit uns hart, indem sie nach „ihrem Mann“ fragt, ob der schon vom Bahnhof gekommen sei.
„Ihr Mann“? Ach ja, der erste Mann seiner Töchter ist immer der Vater. Solange bis…bis…eben der andere Mann kommt, der sie fragt, dem sie antwortet und uns informiert.
Wir haben Glück gehabt mit ihm. Und was für eins. Er hätte von der anderen Seite der Erde kommen können mit uns entsprechend ferner Heimat, Religion, Kulturprägung, Verhaltensweisen.

 

Nichts gegen solche wichtigen Horizonterweiterungen in einer Familie durch Einheirat von ganz von ferne. Nein, gar nichts. Aber noch weniger haben wir was gegen den Neuen, denn: Er kommt aus Bergisch-Gladbach bzw. Hamburg, spricht deutsch und versteht uns – liebe- und verständnisvoll – in unserer Kultur, weil es auch die seine ist. Glück gehabt.
Und sogar Kon-Schwiegereltern können ein wirkliches Glück sein.
Glück gehabt.
Ich bin froh, es hinter mir zu haben. Diese erste Heirat einer, die unseren Namen trug und jetzt nicht mehr. Diese erste Heirat einer, die sagt „Mein Mann“ und nicht mehr den Vater meint.
Es ist zu danken diesem fremden Mann, dessen Frau meine Tochter ist. Weswegen wir nun einen Sohn haben. Schwiegersohn.
Wie sie ihn findet, frage ich die Mutter meiner Töchter und diese strahlt mich an, was ich wunderbar finde.
Oder strahlt sie eine winzige Spur mehr als damals, als ich sie fragte, ob sie meine Frau werden wolle? Ich muß noch viel lernen, denn Nur-Väter von Töchtern kriegen mit dem ersten Schwiegersohn auch – siehe Christines Strahlen – nie dagewesene Konkurrenz.
Ich muß neu werben. Wie er. Mein wunderbarer Schwiegersohn.




Den Autor erreichen Sie unter:

Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
06. Oktober 2009