Bald ist Muttertag

     
In diesem Jahr geht einiges offiziell durcheinander: Osterfest gleich nach Weihnachten, deshalb Himmelfahrt vor Mai und Vatertag vor Muttertag. Also schreibe ich auch fünf Tage vor Muttertag eben über diesen:
An Christines Tür hängt aus Kinderzeiten ein Plakat, das sie als beste Mutter der Welt ausweist. Christine hat es aus Erinnerungslust an die Kindheitsjahre der Früchte meiner, des Papas, Lenden, hängen. Sie mißbraucht dies kindliche Zeugnis ihrer Kompetenz als Mutter nicht. Das jedoch tat Großtante Ursula, die sich von allen fünf Kindern immer eben solch ein Zeugnis wünschte und diese an einer Wand in der Küche sammelte. In Bilderrahmen die ersten, die jüngsten eingeschweißt, abwaschbar alle und deshalb jederzeit vorzeigbar. Wie ein Meisterbrief im Fleischerei-Handwerk.
Immer wenn eines von Tante Uschis Kindern außerhalb der Muttertagsschonfristen nicht so wollte wie Tante Uschi wollte, dann wurde das unbotmäßige Kind vor diese Wand gezerrt und an seine eigene Bewertung der Mutter erinnert. Tante Uschis Kinder haben inzwischen auch Kinder, lehnen aber den Muttertag derart konsequent ab, dass ihre eigenen Kinder jährlich zu Muttertag in Erklärungsnot bei der Frage geraten, was sie denn schenken würden? Gehäkeltes? Gemaltes? Gekauftes? Denn Tante Uschis Kinder bestehen auf "Nichts, bitte! Ja Nichts zum Muttertag!"
Großtante Uschis Kinder sind Muttertags-traumatisiert und wie bei allen schwereren Traumata der Eltern fallen für deren Kinderchen, Tante Uschis Enkel, gleich ein paar Stückchen davon mit ab.
  Soviel zum Missbrauch von den kindlichen Bildern "für die beste Mutter der Welt".
Statistisch ist diese Bewertung gar keine. Denn woher wissen die Kinder das? Ob die Kinder einer "weltbesten Mutter" es nun eingeredet bekommen von einer Tante Uschi durch deren heftigen Wunsch nach solchem Zeugnis oder freiwillig aus Überzeugung heraus malen, schreiben, sagen, aufsagen: Kinder haben keine Vergleiche (höchstens im Märchen durch die vielen Stiefmütter oder in modernen patchwork-Familien). Solche "beste-Mutter-der-Welt"-Prämiierungen haben denselben Wert wie die Einschätzungen, die wir in unserer ersten großen Liebe nach der zur Mutter vornehmen: Da preisen wir unser erstes Mädchen oder den ersten Jüngling auch als das Beste dieser Welt: Schöner, klüger wie nichts zuvor. Und wissen gar nicht, was noch kommt und sich zum Vergleich anbietet.
Sollten wir auf diese Prämiierungen verzichten, wie es Tante Uschis Kinder in einer Elterninitiative leidenschaftlich fordern? Ich verzichte nicht. Denn meine geliebten Gören haben die beste, die schönste, die klügste… -
Die weltbesten Mütter lächeln nur dankbar bei den Höchstpreisungen. Dankbar für diesen Ausgleich zu den zahlreichen anderen Bewertungen, die Frau Mutter als Antwort erhält, wenn es heißt: Trink nicht so viel Cola, Geh an die frische Luft, Piercing macht krank, Zieh dich warm an, Iss langsamer…Höchstes Lob ist immer auch Ausgleich für das Vorhandensein seines Gegenteils.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
06. Mai 2008