Zum Thema "Gute Vorsätze im neuen Lebensjahr"
hat mein Freund Heiner vor seinem Geburtstag geschworen, keinerlei
gute Vorsätze zu schwören. Von wegen Haltbarkeit.
Jedoch hat Heiner jetzt - in der dritten Woche - einen Vorsatz
gefasst im Range eines heiligen Schwures. Der betrifft das Postgeheminis.
Denn Heiner hat es gebrochen. Allerdings aus Versehen. Ehrlich.
Ich traue ihm. Dafür hat er es in ausgerechnet höchst
intimen Sache gebrochen, die ihn noch weniger anzugehen hatte
als ein profaner Kontoauszug.
Heiner und Andrea haben einen gastronomischen Betrieb und deshalb
jede Menge Posteingang. Ganze kleine Haufen kommen da täglich
an, Reklame, wichtige Briefe, unwichtige Briefe, wieder schrecklich
wichtige Drucksachen
Ganz selten mal eine Post für seine Pensionsgäste.
Mit der aber passierte natürlich das Unglück.
Denn beim Postsichten entwickelt Heiner ein Tempo im Aufschlitzen
der Umschläge, wie nur noch meine Großmutter es beim
Aufkleben der Briefmarken auf Weihnachtspostberge erreichte,
obwohl sie keine modernen Hilfsmittel hatte und noch die eigene
Zunge zum Befeuchten nutzte (d.h. manchmal durfte ich meine
Zunge leihen und mitmachen), Außerdem: Die allermeiste
Post kriegt immer Heiner. Und Post für Dritte, gar Gäste,
ist höchst selten weshalb Heiner beim Post-Sichten gar
nicht mehr sichtet, sondern gleich aufschlitzt.
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Was hatte er - versehentlich - aufgeschlitzt? Ausgerechnet
ein seinem als Single reisenden Gast nachgeschicktes Schreiben
einer Partnervermittlunsgfirma. So saß Heiner mit einem
Ausdruck von Frauen, ich meine Ausdruck deren Adressen und Kurzbeschreibungen
samt Photos von Frauen da - und wusste erstmals nichts mit ihnen
anzufangen. So erschrocken war er. Denn der Gast würde
einen solchen Brief dringend erwarten, bei dessen Ausbleiben
bald nachfassen bei der Anbahnungszentrale menschlicher Liebesbegegnungen
Heiner tat, was viele Männer tun, die hinterher als tapfer
und mutig gelten: Er trat die Flucht an. Die nach vorne: Er
rief die Partnerschaftszentrale an und beichtete sein Missgeschick.
Da dort am Telephon eine verständnisvolle Frau saß
und Heiner eine wohltönende, obertonreiche Baritonstimmlage
besitzt, war das Problem gelöst: Die nette Frau versprach,
die unterbrochene Anbahnung neu aufzunehmen und Heiners Gast
den ganzen Brief mit den Angeboten nochmals auszudrucken und
an den Gast zu schicken. Per Einschreiben, damit Heiner nicht
wieder in seiner Eile
Mein Angebot, seinen Bruch des Postgeheimnisses als gar nicht
so zufällig anzusehen, sondern seinem Unbewussten zuzuschreiben,
das den Absender liest, neugierig wird und das Versehen der
Öffnung als Schutzbehauptung vorschiebt - hätte mich
fast meine Freundschaft zu Heiner gekostet.
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