Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
Postgeheimnisbruch

Zum Thema "Gute Vorsätze im neuen Lebensjahr" hat mein Freund Heiner vor seinem Geburtstag geschworen, keinerlei gute Vorsätze zu schwören. Von wegen Haltbarkeit.
Jedoch hat Heiner jetzt - in der dritten Woche - einen Vorsatz gefasst im Range eines heiligen Schwures. Der betrifft das Postgeheminis.
Denn Heiner hat es gebrochen. Allerdings aus Versehen. Ehrlich. Ich traue ihm. Dafür hat er es in ausgerechnet höchst intimen Sache gebrochen, die ihn noch weniger anzugehen hatte als ein profaner Kontoauszug.
Heiner und Andrea haben einen gastronomischen Betrieb und deshalb jede Menge Posteingang. Ganze kleine Haufen kommen da täglich an, Reklame, wichtige Briefe, unwichtige Briefe, wieder schrecklich wichtige Drucksachen…
Ganz selten mal eine Post für seine Pensionsgäste.
Mit der aber passierte natürlich das Unglück.
Denn beim Postsichten entwickelt Heiner ein Tempo im Aufschlitzen der Umschläge, wie nur noch meine Großmutter es beim Aufkleben der Briefmarken auf Weihnachtspostberge erreichte, obwohl sie keine modernen Hilfsmittel hatte und noch die eigene Zunge zum Befeuchten nutzte (d.h. manchmal durfte ich meine Zunge leihen und mitmachen), Außerdem: Die allermeiste Post kriegt immer Heiner. Und Post für Dritte, gar Gäste, ist höchst selten weshalb Heiner beim Post-Sichten gar nicht mehr sichtet, sondern gleich aufschlitzt.

Was hatte er - versehentlich - aufgeschlitzt? Ausgerechnet ein seinem als Single reisenden Gast nachgeschicktes Schreiben einer Partnervermittlunsgfirma. So saß Heiner mit einem Ausdruck von Frauen, ich meine Ausdruck deren Adressen und Kurzbeschreibungen samt Photos von Frauen da - und wusste erstmals nichts mit ihnen anzufangen. So erschrocken war er. Denn der Gast würde einen solchen Brief dringend erwarten, bei dessen Ausbleiben bald nachfassen bei der Anbahnungszentrale menschlicher Liebesbegegnungen…
Heiner tat, was viele Männer tun, die hinterher als tapfer und mutig gelten: Er trat die Flucht an. Die nach vorne: Er rief die Partnerschaftszentrale an und beichtete sein Missgeschick. Da dort am Telephon eine verständnisvolle Frau saß und Heiner eine wohltönende, obertonreiche Baritonstimmlage besitzt, war das Problem gelöst: Die nette Frau versprach, die unterbrochene Anbahnung neu aufzunehmen und Heiners Gast den ganzen Brief mit den Angeboten nochmals auszudrucken und an den Gast zu schicken. Per Einschreiben, damit Heiner nicht wieder in seiner Eile…
Mein Angebot, seinen Bruch des Postgeheimnisses als gar nicht so zufällig anzusehen, sondern seinem Unbewussten zuzuschreiben, das den Absender liest, neugierig wird und das Versehen der Öffnung als Schutzbehauptung vorschiebt - hätte mich fast meine Freundschaft zu Heiner gekostet.


(06.Februar 2007)

Den Autor erreichen Sie unter: Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de