Wie Kunst entsteht

     

Kulturelle Landpartie im Nahen Osten. Ich meine den nahen Osten unserer Heide. Darin eine Kunstausstellung.
Sie vermittelte mir elementare Erfahrung: Wie Kunst erlebt wird, wenn die Augen geschlossen sind und nur die Ohren hören. Hören, was echte Kunstkenner über das Kunstobjekt auf dem Glastisch vor uns sagen. Ich bin keiner. Ich meine, kein Kenner.
Ich besetze einen Stuhl, schließe die Augen und höre:
„Besonders kommt es zur Wirkung vor dieser Scheunenwand.“
„In diesem Licht entfaltet es seine Wirkung glasklar.“
„Die volle Wirkung erschließt sich erst hier im Halbschatten.“
„Die Nähe des Auges erst eröffnet seine volle Wirkung – Makro-Blick“.
 „Das volle Verstehen der Wirkung wächst erst aus der Distanz betrachtet.“
„Die Mischung macht die Wirkung aus: Umgebung, Licht und Material.“

Eine andere Stimme mischt sich ein in die der Kunstkenner. Eine, die nicht nur mich aus hehrer Kunstsprache aufschreckt. Es ist die Stimme einer Mutter, die sowohl umsichtig ist als auch unter Zeitdruck steht und offenhörbar ein Wiederholungsproblem anspricht.
 

Sie zetert ein bisschen, die Stimme. „Gottnochmal – kannst du nicht aufpassen! Dir mal was merken!“

Die Stimme kommt außen, von einer Frau, die jetzt im offenen Torflügel steht, der zur Ausstellung führt. Zu uns. Zu den Kunstwerken. Der Kreis der Kunstbetrachter öffnet sich ein bisschen.
„Hast du es hier liegengelassen??“ Jetzt wird sie leiser, die Stimme der Frau, weil sie uns Kunst-Jüngerkreis sieht. Statt Zetern faucht sie und ein ca.  Sechsjähriger wird von ihr an den Glastisch mit dem Kunstobjekt gezogen. „Hier wars doch!“ Die Kunstkenner lassen noch mehr Spalt, dass sie durch kann. „Sag ich doch, du Dummer, sag ich doch, “ sagt die Stimme, “du lässt heute wieder alles liegen!“
Das, was auf dem Glastisch lag, wurde vom Jungen gegriffen und in der mütterlichen Stofftasche versenkt. Es war dies neue Spielzeug gewesen, das Richard jetzt auch zum Kindergarteneintritt erhielt. Märklin, aber nicht genau Märklin, nur so ähnlich. Daraus war ein Turm gebaut, auf dem hubschrauberähnliche Propeller ruhten. Eine Kombination von Eiffelturm und Drohne.

Ich begriff, wie Kunst entsteht. Durch Augenschließen und das Anhören von Kennern.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
05. Juni 2018