Ach du lieber Gott…

     

…seufzte Gott und der Untererzengel Gabriel der Kleine seufzte mit. Denn wenn Gott seufzte und den Seufzer an sich selbst adressierte – dann war was los auf der Erde. Genauer: Im Ostteil der Lüneburger Heide, für den Gabriel der Kleine zuständig war. Seit Tagen schwebte Gabriel der Kleine im Höchsttempo zwischen seinem Chef, Erzengel Gabriel und dessen Chef hin und her und schleppte seine dicker werdende „Eil-Info“-Mappe unter dem linken Flügel.
Zeitungsausschnitte und Mitschnitte der himmlischen Abhörzentrale, die alle gesprochenen Worte der Menschen dort speichert, wo es Zank, Streit, kurz Schmerzhaftes für alle Beteiligten gibt. Zur Vorlage beim Chef des Informationsamtes. Bei ihm, dem Chef von Gabriel dem Kleinen, Erzengel Gabriel der Große stapelten sich die Eil-Info-Mappen.
„Wieder keine gesicherten Informationen“, stöhnte der Erzengel„das kann ich ihm so nicht vorlegen.“ Gott konnte, wenn er wollte, alles hören. Dies hatte er gehört.
„Das soll so sein: Auf der Erde darf es nichts Gesichertes geben, sonst hören meine Abbilder auf, sich zu verändern,“ ließ Gott mitteilen und wollte dann wissen, wer an dem Streit um seine Diakonie beteiligt sei: Ein Propst, ein Chefredakteur, ein amtsentbundener Geschäftsführer, eine Bischöfin. Bei der Aufzählung der weiteren Namen auf einer klopapierlangen Liste (mutige Autoren von Leserbriefen, mutlose Autoren anonymer Briefe, Gerüchte-Besänftiger und Gerüchte-Verstärker) winkte Gott dann ab.
„Begleiterscheinungen und Folgen,“ beruhigte Gott seinen Erzengel und damit gleich die unteren Chargen der Cherubim, die sich schnell aufregten, weil sie der Erde noch nah waren. „Übliche und nötige Begleiterscheinungen und Folgen.  Aber was ist der Auslöser, was der Kernkonflikt in einer meiner Kirchen?“
Der Erzengel fasste zusammen und wartete. Gott schwieg eine kleine Weile,
dann bat er um die wichtigsten Einzelfallschilderungen.

  Gabriel der Kleine und vier frisch hereingekommene Engel, die in Konfliktfällen Einzelpersonen begleiten, berichteten. Von dem Diakon, der die Diakonie geleitet und dem trotz oder wegen lauter Projekterfolgen das Geld abhanden gekommen war, von dem Propst, welcher Diakonie und Diakon samt Geld beaufsichtigt, von dem Chefredakteur, der über alles berichtet hatte, von den sich in Lager aufteilenden Pastoren und deren Schafherden und denen, die vor der Herden-Koppel standen und aufkommende Meinungen und Gerüchte weitergaben wie im Spiel „stille Post“. Gott lieh allen seine Ohren und sagte dann, was zu Anfang dieses Berichtes zitiert wurde: „Ach du lieber Gott…“ Dann fragte er voller Mitgefühl nach: „Eigentlich versuchte und versucht dann doch jeder sein Bestes: Der alte tüchtige Diakon, der neue tüchtige Diakon, die sich um die Rettung der Zentrale guter Taten bemühen, der Propst, der sich der Aufsichtskontrolle und gleichzeitig der Friedenserhaltung verpflichtet fühlt, der Zeitungschef, der größte Transparenz für und Interesse in der breiteren Öffentlichkeit herzustellen versucht, die Bischöfin, die als Gottes Werkzeug sowohl nach unten als auch nach oben strebt - und die übliche Verletzungswelle aufgrund wechselseitiger Verteidigung. Richtig?“ Es folgte hierarchieübergreifendes Nicken. „Runder Tisch!“ befahl ihr oberster Chef, „gebt ihnen da unten noch etwas Zeit für das Kanalisieren der schlimmsten Affekte. Noch sind nicht alle draußen und es geht ihnen nicht elend genug. Aber für das danach bereitet schon mal den runden Tisch vor. Diese Frau in Hannover kann ihn moderieren, wie heißt sie?Loki?“ Ach, nein: Margot.“ Wieder nickte alles, diesmal mit dem besten feedback, das im Himmel zu hören ist: Flügelschlagen, was auf Erden den Wind ausmacht, der reinigt. „Noch was,“ rief der Chef aller Chefs seinen leitenden Angestellten zu,“nehmt eine doppelte Portion vom Heiligen Geist mit nach unten. Sicherheitshalber, denn sicher sollen sich hinterher wieder alle fühlen.“



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
05. Mai 2009